Niedergang
Erstes Kapitel
Der Ausbruch des Krieges
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In der Kieler Woche von 1914 war als Ausdruck gebesserter Be-
ziehungen zum erstenmal seit neunzehn Jahren ein britisches Linienschiff-
geschwader unser Gast. Ich hatte englische Offiziere und den groß-
britannischen Botschafter zum Frühstück an Bord, als die Nachricht
von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers eintraf. Zwei
Tage später fuhren die englischen Schiffe ab. Ich reiste, wie geplant,
am 2. Juli zur Kur nach Tarasp. Jene Nachricht hatte uns alle
unheimlich berührt. Man erwartete irgendwelche Sühne für die düstere
Tat, infolgedessen auch eine gewisse europäische Spannung. Einen
Weltkrieg befürchtete ich nicht. Wer sollte die Verantwortung dafür
übernehmen? Auch wiesen unsere militärischen Nachrichten darauf hin,
daß, wenn überhaupt, so frühestens für 1916 mit einem Angriffs-
krieg von Rußland aus zu rechnen wäre. Der Verdacht, daß der
Mord in Serajewo mit Wissen des Zaren oder Englands angezettelt
wäre, wurde nicht gehegt.
Tägliches Lesen der englischen Zeitungen hatte zusammen mit amt-
lichen Berichten mich über das Abflauen der Hetze und die fortschrei-
tende Entspannung der deutsch-englischen Beziehungen auf dem Laufen-
den gehalten. Die Grundstimmung freilich, daß man unsere Zurück-
drängung wünschte, hatte sich nicht geändert, und es durfte keinen
Augenblick vergessen werden, daß es noch immer englischer Staats-
grundsatz war, den deutschen Einfluß einzudämmen. Aber der Augen-
blick, uns niederzuschlagen, wurde in England von weiten Kreisen