Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Nussische Mob.lmachung 131 
zu opfern, in der eigenartigen Vorstellung, daß England in diesem 
Falle einen deutschen Sieg über Frankreich genehmigen würde. Die 
Kapitulationsversuche begannen also schon vor dem Krieg, und als es viel- 
leicht noch Zeit war, ihn zu verhindern. Das auswärtige Amt hatte zwei 
unglückselige Ideen: die Osterreicher müssen in Serbien einmarschieren, 
und die deutsche Flotte steht der vollen Liebe Englands im Wege. Für den 
Fall, daß seine Belgradpolitik den Feinden die Gelegenheit zum Kriege 
geben sollte, war es nun jedenfalls gedeckt: die deutsche Flotte war an 
allem schuld. Die Flottenpolitik des Kanzlers vom 29. Juli, wie diejenige 
von 1911/12 wirft ihren Schatten leider in den Krieg voraus; denn die 
vom Kanzler gewünschte und durchgesetzte Art unserer Kriegsführung zur 
See bedeutete im Grunde nichts als die langsame Opferung von 
Deutschlands Flotte und Zukunft, deren augenblickliche Hingabe am 
29. dem Kanzler versagt worden war. 
An jenem Tag traf aus England Prinz Heinrich in Potsdam ein 
mit der Meldung von Georg V., daß England in einem Krieg neutral 
bleiben würde. Ich bezweifelte dies, worauf der Kaiser erwiderte: 
„Ich habe das Wort eines Königs, das genügt mir.“ 
Der Wirrwarr, der Europa bewegte und keinem mehr den Über- 
blick über das Ganze ließ, schien sich am 30. Juli günstig zu klären. 
England stimmte einem auch in Wien angenommenen Vermittlungs- 
vorschlag des deutschen Kaisers zu. Zwischen uns und London war 
eine völlige materielle Einigung erzielt. Dies erfuhr ich am 31. Juli 
mittags durch ein Schreiben des Kaisers, das mich aufatmen ließ. 
Schon in den Morgenstunden des 31. Juli hatte ich aber aus dem 
Admiralslab erfahren, daß im Auswärtigen Amt der Krieg für un- 
vermeidlich angesehen würde und daß Jagow angefragt hätte, ob 
wir bereit wären, die englische Flotte anzugreifen. 
Der Widerspruch klärte sich mir auf, als ich zwischen zwölf und 
ein Uhr mittags die Nachricht von der russischen Mobilmachung er- 
hielt. 
Um halb ein Uhr hatte mich der Kanzler rufen lassen, bei wel- 
chem inzwischen der kaiserliche Befehl für „drohende Kriegsgefahr“ 
vorlag. Ich machte Bethmann auf die zwischen uns und London 
erzielte Einigkeit aufmerksam und las ihm das Schreiben des Kaisers 
vor, das er noch nicht kannte. Der Kanzler meinte, der Kaiser mische 
darin mehreres durcheinander. Die russische Mobilmachung wäre ein 

	        
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