Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Das System Bethmann 167 
würde, wenn wir zu einer Zeit einfach kapitulieren, wo noch ein erheb- 
liches Maß von Widerstandskraft bei uns vorhanden ist. Der Feind, 
der letztere genau einzuschätzen weiß, wird uns bei einer solchen vor- 
zeitigen Wehrlosmachung nicht milder behandeln, sondern brutaler und 
roher, weil zu dem Vollgefühl des Siegers noch hinzutreten wird ein 
Gefühl der Verachtung des Gegners. Es kommt in dieser Frage 
wiederum der Unterschied in unserer Denkungsweise und derjenigen 
unserer Feinde in Betracht. In dieser Hinsicht würde es für uns 
günstiger liegen, wenn wir den Frieden über England gesucht hätten 
und nicht über Amerika und Wilson 1). 
Ich möchte schließlich noch auf folgendes hinweisen: Unsere Feinde 
befinden sich jetzt nicht nur in vollem Siegestaumel, sondern ihre 
Völker haben auch das Gefühl, dem seit Jahren ersehnten Frieden, 
dem Ende der Opfer und Leiden, unmittelbar nahe gerückt zu sein. 
Alle Nerven der großen Massen sind auf diesen Punkt gespannt. Ent- 
schließen wir uns jetzt, infolge feindlicher Zumutungen, zu einem 
politischen „Halt! Front!“, zeigen wir dem Feinde noch einmal in 
ganz klarer Entschlossenheit die Zähne, und erklären seine Forderungen 
für unamehmbar, so wird die plötzlich auftauchende Notwendigkeit, 
den Kampf fortzusetzen, von größter psychologischer Wirkung sein. 
Es wird sich der kampfesmüden Massen unserer Feinde eine furcht- 
bare Enttäuschung bemächtigen, und sehr bedeutende Kräfte werden 
sich in der Richtung entfalten, die Regierungen zu einer Abmilderung 
ihrer Bedingungen zu veranlassen. In Verbindung mit dem wachsen- 
den, heldenhaften Widerstand an unserer Front, und in Verbindung 
auch mit der sehr begründeten Furcht vor dem Bolschewismus, wird 
eine solche deutsche Haltung die einzige sein, die uns erträgliche Be- 
dingungen verschaffen kann. 
Euer Großherzogliche Hoheit 
verharre ich in größter Ehrerbietung 
v. Tirpitz. 
  
  
1) Ich meinte natürlich nicht, daß es vorteilhafter wäre, sich in die Gnade Eng- 
lands statt Wilsons zu geben. Eine solche Kapitulation bedeutete auf alle Fälle 
den nationalen Untergang. Ich meinte vielmehr, daß für Verhandlungen mit dem 
Schwert in der Hand England, vor allem dank dem Ubootskrieg, der verhältnis- 
mäßig geschäftlichste Gegner gewesen wäre, und bin dieser Ansicht auch heute noch.
	        
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