Anhang: l. Aus meinen Kriegsbriefen
Die tagebuchartigen Aufzeichnungen, aus denen nachstehend ein Auszug ge-
geben wird, sind regelmäßig spät abends oder kurz vor Abgang der Kurier-
mappe flüchtig hingeworfen. Sie geben nur Stimmungsbilder über die zur
Zeit sich abspielenden Kriegshandlungen oder über Personen, die dabei in Be-
tracht kommen, nicht abgewogene Urteile wieder. Die Kriegsbriefe sind daher
beeinflußt durch Augenblickseindrücke, unvollkommene Tagesnachrichten und
ähnliches. Man darf sie daher nicht einzeln herausreißen oder mich auf ge-
legentliche Unstimmigkeiten oder Schroffheiten in der Ausdrucksweise fest-
nageln wollen. An die Möglichkeit einer Veröffentlichung habe ich nie ge-
dacht. Wenn ich mich dennoch zu einer teilweisen Veröffentlichung entschließe,
so geschieht dies, weil die Kriegsbriefe zeigen, daß die in den Erinnerungen
zum Ausdruck kommenden. sachlichen und allgemein politischen Ansichten nicht
nach beendetem Krieg entstanden sind, sondern sich in allen wesentlichen
Punkten mit meiner Beurteilung während. des Kriegsverlaufs deckten. ·
Coblenz, 18. VIII. 1914
Eine Welt ist gegen uns mobil gemacht Wir müssen durchhalten bis zum
äußersten, das ist die einzige Möglichkeit, unsere Stellung in der Welt zu
behaupten. Bis jetzt habe ich das Gefühl, daß ich in dieser Beziehung hier
nützlicher bin als in Berlin.
Coblenz, 19. VIII.
Das ultimatum von Japan vernichtet eine 20 jährige erfolgr eiche Tätig-
keit; aber wir müssen durch, solange als irgend möglich. Heute eine stunden-
lanze Unterredung mit Bethmann und Jagow. Zum Frühstück bei S. M. S.
M. war ziemlich befriedigt von den Nachrichten aus den Kriegsschauplätzen.
Nach Tisch mußte ich über zwei Stunden mit ihm im Garten spazieren gehen.
Glücklicherweise gingen wir langsam, und es war warm. Ich habe alles ver-
sucht, ihn fest zu machen. Zurzeit war es aber nicht erforderlich. Er übersah
die Situation vollständig und hatte ganz klare Ansichten. Wenn er nur nicht
Bethmann gehabt hätte in den letzten Jahren, so wäre alles besser geworden.
Er war stolz, daß seine sechs Söhne vor dem Feinde ständen. Ich gratulierte
ihm dazu. Es wäre dies auch notwendig für die Dynastie der Hohenzollern.
Er war m. E. etwas zu optimistisch betreffs der Niederzwingung Englands,
hielt sich sehr stark an die Gerechtigkeit Gottes. Ich bestätigte dies, fügte
aber hinzu, wir müßten auch unsererseits diese verdienen. Männer seien not-
wendig an allen Stellen. Ich konnte doch nicht den Finger in die Wunde legen,
besonders da ich die Überzeugung habe, daß er Bethmanns Unzulänglichkeit
vollständig erkennt.
Coblenz, 21. VIII.
Wie hätte ich persönlich gewünscht, diesen Krieg nicht zu erleben. Ich kann
es immer noch nicht begreifen, daß wir mit Rußland nicht auf einen modus
vivendi kommen konnten. Die Balkanstaaten scheinen nach den heutigen Nach-
richten wieder flau zu machen. Werden wir das Weltnetz zerreißen, welches
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