222 Kriegsbriefe 1015
Konstantinopel, in der Marine, in der Armee, in der Politik kein Zusammen-
arbeiten, fast alles immer noch bestrebt, nach dem Kaiser zu schielen, der
umgeben ist von weichen Leuten. Es gäbe nur ein Mittel, Hindenburg würde
Reichskanzler und Chef des Generalstabs und Chef der Admiralität in einer
Person. Nun sehe man die Ovationen im Reichtstag, da geht doch völlige
Verständnislosigkeit des wahren Übels daraus hervor.
Charleville, 8. IV.
Der Kaiser saß voller Siegesnachrichten; andere dürfen an ihn nicht her-
engebracht werden, unter anderm „ist in Indien Riesenaufstand“ usw. Die
Wissenden blasen Trübsal. Der Kaiser und sein Bruder schalten auf Eng-
land, Valentini meinte, wären wir nur Graf Metternich gefolgt! Das ist
charakteristisch. Der Kaiser sucht seinen Trost in dem meines Erachtens ge-
fährlichen Gedanken, der erste Punische Krieg machte es nicht, sondern erst
der zweite, dazu müßten wir dann sehr viel Schiffe bauen. Derartiges ist
unser Unglück und vielleicht Verderben. Und alles ruft Hosianna.
Emanuelssegen, 1. VIII.
Wir fuhren nach Pleß, den Jahrestag des Kriegsausbruchs kirchlich zu
begehen. Kleine Versammlung vor dem Schloß. Ich sagte S. M., er solle
nur getrost in die Zukunft schauen, es ginge sicher alles gut, wenn wir nur
„fest“ blieben. S. M. meinte, natürlich blieben wir fest. Von den Flügel-
adjutanten hörte ich, daß die Proklamation veröffentlicht wäre. Wir gingen
dann in die kleine Kirche, die voll war bis auf den letzten Platz. Der Pastor
nimmt Entree zum Besten des Roten Kreuzes. Der Gottesdienst sehr würdig
und erhebend von einem sehr alten Geistlichen gehalten, einfach, schlicht und
voll eigner Überzeugung. „Bis hierher hat der Herr geholfen, versteht, meine
lieben Brüder und Schwestern, er hat „geholfen“. Gott will also, daß wir
selbst das Äußerste tun im reinsten Sinn, dann wird er helfen“ usw.
S. M. sprach auf dem Wege vom Schloß zur Kirche weiter vom zweiten
Punischen Krieg, mit dem er sich offenbar tröstet. Ich habe nach Möglichkeit
dagegen gesprochen. Nach diesem furchtbaren Ringen gäbe es eine lange
Pause, 30—100 Jahre, es käme also lediglich darauf an, wie wir diesen
Krieg beenden.
Lötzen, 13. VIII.
Heute 10 Uhr morgens hier eingetroffen. Lange Unterhaltung mit Hinden-
burg und Ludendorff, vollständiges Einvernehmen über die Gesamtlage. Hin-
denburg sieht keine Aussicht, die Lage autour du roi zu ändern, die Stuck-
masse wäre undurchdringlich. Er hat den Kaiser geradezu angefleht, den Rat-
schlägen von F. nicht zu folgen. Auch bei der letzten großen Operation in
Rußland hat er dringend abgeraten von dem Verfahren, welches immer
frontal fortgesetzt wurde, auf diese Weise die Russen selbst entwischen ließ
und uns sehr viel Verluste gekostet hat. Nach Ansicht Hindenburgs und Luden-
dorffs wäre schon vor drei Wochen die ganze russische Armee erledigt, wenn
man ihnen gefolgt hätte. Er hat dem Kaiser dem Sinne nach geschrieben,