Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Unter Stosch und Caprivi 21 
gegenüber oft aussprach: „Nächstes Frühjahr haben wir den Zwei- 
frontenkrieg“. Jedes Jahr erwartete er ihn im nächsten Frühling. 
Er war weit weniger Politiker als Stosch. Als er später, einige Zeit 
vor Bismarcks Abschied, zu Kaiser Wilhelm II. bestellt wurde, um dem 
Befehl folgend die etwaige Nachfolge des Kanzlers zu übernehmen, sagte 
er auf dem Weg zum Schloß bitter zum Feldmarschall Loë: „Jetzt be- 
grabe ich meinen militärischen Ruhm“. Für die Marine war er nach 
dem Ausspruch des Prinzen Friedrich Karl „zu schade“ gewesen und 
hätte eigentlich Chef des Generalstabs werden müssen. 
Durch ihn bekam die Marine also ein militärisch-politisches Ziel. 
Ob es ganz das richtige war, bleibe dahingestellt, aber es war doch 
endlich eine Idee. Unter Stosch hatte die Flotte nicht gewußt, für 
welches strategische Ziel sie arbeitete. Uberwiegend war man als Folge 
der kurzen Sommerübungen durch das Formale absorbirt, das man 
als „Evolutioniren“ bezeichnen kann. Was bei der Kompagnie das 
Rechts- und Linksschwenken ist, das wurde geübt. Die Mobilmachung 
stand nur auf dem Papier. Caprivi inspizirte im Frühjahr 1883 und 
war überwältigt von der ungeheuren Arbeitstätigkeit ohne rechte Leit- 
gedanken. 
Da nun Größeres nicht so rasch zu machen ging und die Marine 
unter Stosch schon immer daran gekrankt hatte, daß sie etwas leisten 
sollte, was sie nicht leisten konnte, beschränkte sich Caprivi darauf, bis 
zum nächsten Kriege eine starke Küstenverteidigung gegen Rußland und 
Frankreich vorzubereiten. Wenn man den Zweifrontengedanken nicht 
beachtet, urteilt man leicht ungerecht über seine mangelnde Erkenntnis 
der Aufgaben der Marine. Er sagte: erst muß der Krieg abgemacht 
werden, der übermorgen kommt, und dann können wir die Marine 
weiterentwickeln. Er arbeitete sich nun persönlich ein und leitete auch 
jeden Herbst die Manöver, die jetzt mit verschiedenen General- und 
Spezialideen nach Art der Armee eingeführt wurden. Sie richteten 
sich im Allgemeinen gegen die Küste; die eine Partei griff die Küste 
an, die andere hatte sie zu verteidigen. 
Caprivi richtete ferner Admiralstabsreisen ein, wobei Aufgaben ge- 
stellt wurden wie diese: Rußland und Frankreich erklären uns den Krieg; 
die russische Flotte will sich mit der französischen vereinigen und wir 
sollen dies verhindern. Aus derartigen Lagen, die als Leitfaden der Über- 
legung dienten, kam man allmählich von der reinen Küstenverteidigung
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.