32 Aufstieg
noch keine Flotte der Welt klare Grundsätze vertrat, daß z. B
die Frage „Keil und Karrs“ in der damaligen Fachliteratur noch eine
erhebliche Rolle spielte; während doch schon der Athener Phormio mit
seiner Linie die nach Landbegriffen auch zur See Karré bildenden
Spartaner unter Brasidas besiegt hatte. Während wir auf dem „kleinen
Exerzierplatz“ vor der Kieler Föhrde diese Dinge empirisch fanden,
entwickelte sie gleichzeitig theoretisch aus der Geschichte der amerika-
nische Admiral Mahan, den ich später, als ich sein Buch kennen lernte,
auf dies seltsame Zusammentreffen hinwies. .
Die Engländer schienen mir damals in der Taktik sehr zurück zu
sein, wovon der Tryon-Prozeß infolge des Unterganges der „Victoria“
eine Vorstellung gab. Die Engländer hatten eben die Taktik nicht
nötig. Die Schlacht von Trafalgar hatte jeden Wettbewerb in
der Seegewalt ausgeschaltet, und so stand von da an der See-
krieg, wie in der Praxis, so auch in der theoretischen Fortbildung
still, während zu Lande das Gleichgewicht der Mächte die Kriegswissen-
schaft rege erhielt. Mit ihrer erdrückenden Übermacht konnte die britische
Flotte jeden Gegner so oder so zusammenschießen. In einer solchen
Lage waren wir nicht. Durch unser Beispiel wurden dann freilich
auch die Engländer gezwungen, zu arbeiten und den Seekrieg geistig
wieder zu durchdringen. Zunächst haben sich die Engländer noch wenig um
die kleine deutsche Flotte gekümmert. Erst durch Dienstschriften, die
gestohlen waren oder von einem gesunkenen Torpedoboot stammten,
sind die Engländer auf unsre Arbeit aufmerksam geworden. Seit etwa
1896 begann in der britischen Marine das Gefühl, daß wir Gegner
seien, und seit sie uns so ansahen, haben sie uns auch studiert und
namentlich im Manöver ähnliche Wege eingeschlagen. Sie werden es
nie eingestehen, daß sie in dieser Hinsicht bei uns in die Schule
gingen; es ist aber so, und wir waren uns auch schon damals bewußt,
daß die britische Flotte den neuen Gelst ihrer Entwicklung durch uns
bekommen hat. Es war ein Abbild der deutschen Stellung in der Welt,
daß eine Marine, die noch so gut wie keine Schiffe besaß, methodisch
führte. Wir mußten entweder Schiffe nachbauen oder unsre Gedanken
Fremden leihen. Wir haben gebaut, und waren an Güte der Schiffe
wie der taktischen Leistung, nur nicht an Masse, auch im Weltkrieg noch
den Engländern überlegen, obwohl da die Zeit ihrer taktischen Erstarrung
und ihrer unklaren Manöver längst vorüber war.