Randbemerkungen 83
erfülit gelassen haben, sich jetzt mit um so größerem Eifer darauf
legen werden, das ganze alte Regierungssystem hinterher zu verdammen.
Dabei dürften vermutlich die kaiserlichen Randbemerkungen eine Rolle
spielen, deren Zahl unübersehbar ist, da der Kaiser gern den Marginal-
stil seiner Vorfahren verwendet hat. Um nun aber den geschichtlichen
Wert oder Unwert dieser und ähnlicher Augenblickskundgebungen er-
messen zu können, muß man den Kaiser sehr genau gekannt haben.
„Auf meine Randbemerkungen darf man mich nicht festlegen“, hat
er selber geäußert. Er war deshalb sehr erstaunt, als ich es einmal
auf Grund einer solchen Randbemerkung für meine Pflicht ansah,
meinen Abschied einzureichen. Bei einer ähnlichen Gelegenheit äußerte
der Kaiser, er pflege doch seinen anderen Ministern noch ganz andere
Dinge zu sagen, ohne daß diese gleich daraus Konsequenzen zögen.
Der Kaiser setzte eben stets voraus, daß seine verantwortlichen Rat-
geber seine Außerungen prüften und daß sie das dauernd Bedeut-
same von bloßen Stimmungsäußerungen zu unterscheiden vermöchten.
Im allgemeinen nahm auch der Kaiser begründete Einwendungen an.
Leider haben die Kabinette den Randbemerkungen des Kaisers zu
einer übertriebenen Scheinbedeutung verholfen. Alle, auch solche, die
man in den Amtern nur als zu prüfende Anregungen auffaßte, wurden
im Kabinett in derselben Art wie Bleistiftskizzen eines Künstlers chemisch
fixiert. So wurde einer späteren Geschichtsschreibung, welche die Ver-
hältnisse nicht mehr aus eigenem Augenschein kennt, ein Material
aufbewahrt, das, wenn es falsch bewertet werden sollte, geeignet er-
scheint, von der Persönlichkeit des Kaisers selbst, wie auch von der
Art der Regierung unter ihm, ein recht verzerrtes Bild zu liefern.
Der Kaiser war in Wahrheit durchaus nicht der Autokrat, als der er
von unseren Feinden und unserer Demokratie hingestellt worden ist.
Als Unterlage für diese Behauptung dienen im wesentlichen nur seine
Aussprüche im Stile vergangener Epochen, nicht seine tatsächlichen
Handlungen und Entscheidungen, wenigstens nicht bei irgendwelchen
Fragen von größerer Bedeutung. Der Kaiser glaubte sich in hohem
Maße den gesetzgebenden Faktoren des Reichs unterordnen zu müssen.
Das trat besonders stark während des Krieges hervor.
Wenn ich den Kaiser allein sprach, habe ich mich grundsätzlich auf
mein Ressort beschränkt. Dadurch blieb mein Einfluß auf seine Per-
sönlichkeit freilich begrenzt, und ich verlor ihn gänzlich, als mir im
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