Full text: Auswahl für das Feld.

Sprache und Kunst fortdauern werde. Da spricht er das furcht— 
bare Wort: „ein Volk, das sich nicht selbst mehr regieren kann, 
ist schuldig, seine Sprache aufzugeben“. So geschieht ihm selber, 
was er seinem Luther nachrühmte, daß deutsche Denker, ernstlich 
suchend, mehr finden als sie suchen, weil der Strom des Lebens 
sie mit fortreißt. In diesem radikalen Satze schlummert der Keim 
der Wahrheit, welche erst die Gegenwart verstanden hat, daß ein 
Volk ohne Staat nicht existiert. — „Es ist daher kein Aus- 
weg,“" schließen die Reden — „wenn ihr versinkt, so versinkt die 
ganze Menschheit mit ohne Hoffnung einer einstigen Wiederher- 
stellung.“ · 
Wir Nachgeborenen haben den bewegten Klang jener Stimme 
nicht gehört, welche die andachtsvollen Zuhörer zu Berlin ergriff, 
— und jeder rechte Redner wirkt sein Größtes durch einen höchst— 
persönlichen Zauber, den die Nachwelt nicht mehr begreift — aber 
noch vor den toten Lettern zittert uns das Herz, wenn der strenge 
Züchtiger unseres Volkes „Freude verkündigt in die tiefe Trauer“ 
und an die mißhandelten Deutschen den stolzen Ruf ertönen läßt: 
„Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend.“ 
— Und welchen Widerhall erweckten diese Reden in der Welt? 
Achselzuckend ließ der Franzose den törichten Ideologen gewähren, 
gleichgültig erzählte der Moniteur von einigen Vorlesungen über 
Erziehung, die in Berlin einigen Beifall gefunden. Die Fremden 
wußten nicht, aus wie tiefem Borne dem deutschen Volke der 
Quell der Verjüngung strömt, und kein Verräter erstand, ihnen 
den politischen Sinn der Reden zu deuten. Mit wie viel schärferem 
politischen Blicke hatte einst Macchiavelli seinem Volke den aller— 
bestimmtesten Plan der Rettung mit den bestdurchdachten Mitteln 
vorgezeichnet! Aber sein Principe blieb ein verwegenes Traum- 
bild, die Reden des deutschen Philosophen wurden einer der Funken, 
daran sich die Glut der Befreiungskriege entzündete. Fichte frei- 
lich meinte, sein Wort sei verhallt in den „tiefverderbten“ Tagen, 
sein ganzes System sei nur ein Vorgriff der Zeit. Denn es ist 
das tragische Geschick großer Männer, daß sie ihren eigenen Geist 
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