Gegenwart anwenden“: — die Jugend wußte nichts von solcher
Unterscheidung. Die Hoheit seiner Ideen und der Radikalismus
seiner Methode wirkten berauschend auf die deutschen Burschen.
„Der deutsche Staat ist in der Tat einer; ob er nun als einer
oder mehrere erscheine, tut nichts zur Sache“ — solcher Worte
diktatorischer Klang drang tief in die jungen Seelen. Die Vor—
stellung, daß das Bestehende schlechthin unberechtigt sei und einem
deutschen Reiche weichen müsse, ward durch Fichtes Lehren mäch—
tig gefördert.
Als eine edle Barbarei hat man treffend die Stimmung der
Burschenschaft bezeichnet, und auch an den Sünden dieser edlen
Barbaren ist Fichte nicht schuldlos. Seine mönchische Strenge
spiegelt sich wider in dem altklugen, unjugendlichen Wesen, das
uns so oft zurückstößt von der wackeren teutonischen Jugend. Wenn
er immer wieder die Bildung des Charakters betonte, war es da
zu verwundern, daß schließlich die Jugend, die den Wert eines
gereiften Charakters noch nicht zu beurteilen vermag, mit Vorliebe
den polternden Moralpredigern folgte und an alle glänzenden
Geister unseres Volkes den Maßstab der „OGesinnungstüchtigkeit"
legte? Wenn er unermüdlich die Jugend darstellte als den noch
reinen Teil der Nation und die „Wissenschaftlichen“ als die natür-
lichen Lenker des Volkes: — mußte da nicht endlich die Anmaßung
aufwuchern in der wissenschaftlichen Jugend? — „Unser Urteil
hat das Gewicht der Geschichte selbst, es ist vernichtend!“ — in
solchen Reden, die im Burschenhause zu Jena, als Arnold Ruge
jung war, widerhallten, offenbart sich die Kehrseite des Fichteschen
Geistes. Fichte starb zu früh; bei längerem Leben wäre all seine
wache Sorge dahingegangen, die edle Barbarei der Jugend maß-
voll und bescheiden zu erhalten. Weder Luden noch Oken oder
Fries, und am allerwenigsten der alte Jahn stand hoch genug,
um die spartanische Rauheit des jungen Geschlechts zu mäßigen.
— Vornehmlich in dieser sittlichen Einwirkung auf die Gesinnung
des werdenden Geschlechts liegt Fichtes Bedeutung für die Ge-
schichte unserer nationalen Politik — und wer darf leugnen, daß
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