Full text: Auswahl für das Feld.

Verwegenheit im Angriff und dazu, was am schwersten wiegt, die 
Selbstverleugnung des begeisterten Willens. 
Napoleon rechnete mit Sicherheit auf einen raschen Sieg, da er 
die Preußen fern im Südosten bei Namur wähnte. Seine Armee 
zählte über 72000 Mann, war dem Heere Wellingtons nament— 
lich durch ihre starke Kavallerie und die Uberzahl der Geschütze — 
240 gegen 150 Kanonen — überlegen. Unter solchen Umständen 
schien es unbedenklich, den Angriff auf die Mittagszeit zu ver- 
schieben, bis die Sonne den durchweichten Boden etwas abgetrocknet 
hätte. Um den Gegner zu schrecken und die Zuversicht des eigenen 
Heeres zu steigern, veranstaltete der Imperator im Angesichte der 
Engländer eine große Heerschau; krank wie er war, von tausend 
Zweifeln und Sorgen gepeinigt, empfand er wohl auch selber das 
Bedürfnis, sich das Herz zu erheben an dem Anblick seiner Getreuen. 
Sooft er späterhin auf seiner einsamen Insel dieser Stunde ge- 
dachte, überkam es ihn wie eine Verzückung, und er rief: „die Erde 
war stolz, so viel Tapfere zu tragen!“ Und so standen sie denn 
zum letzten Male in Parade vor ihrem Kriegsherrn, die Veteranen 
von den Pyramiden, von Austerlitz und Borodino, die so lange der 
Schrecken der Welt gewesen und jetzt aus dem Schiffbruch der alten 
Herrlichkeit nichts gerettet hatten als ihren Soldatenstolz, ihre Rach- 
gier und die unzähmbare Liebe zu ihrem Helden. Die Trommler 
schlugen an; die Feldmusik spielte das Partant pour la Syrie! 
In langen Linien die Bärenmützen der Grenadiere, die Roßschweif- 
helme der Kürassiere, die betroddelten Tschakos der Voltigeure, die 
flatternden Fähnchen der Lanciers, eines der prächtigsten und 
tapfersten Heere, welche die Geschichte sah. Die ganze prahlerische 
Glorie des Kaiserreichs erhob sich noch einmal, ein überwältigendes 
Schauspiel für die alten Soldatenherzen; noch einmal erschien der 
große Kriegsfürst in seiner finsteren Majestät, sowie der Dichter 
sein Bild kommenden Geschlechtern überliefert hat, mitten im Wetter- 
leuchten der Waffen zu Fuß, in den Wogen reitender Männer. 
Die brausenden Hochrufe wollten nicht enden; hatte doch der Ab- 
gott der Soldaten vorgestern erst aufs neue seine Unbesiegbarkeit 
13. 
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