Full text: Auswahl für das Feld.

sophische Forschung die Erkenntnis gewonnen, daß unser Geschlecht 
nur durch die Kunst zur harmonischen Vollendung erzogen werde; 
nur in der Kunst sei der Mensch zugleich tätig und frei, nach außen 
wirksam und ganz bei sich selber. Damit war das innerste Herzens- 
geheimnis des Zeitalters kühnlich ausgesprochen. Tausend jubelnde 
Stimmen antworteten dem weckenden Rufe: „fliehet aus dem engen 
dumpfen Leben in des Ideales Reich!“ und verkündeten die frohe 
Botschaft, daß der Künstler der vollkommene Mensch, daß alles 
Schöne gut und gut nur das Schöne sei. Zugleich ging der Dichter 
mit der Formlosigkeit seiner eigenen Jugendwerke streng, ja grau- 
sam ins Gericht und eroberte sich die lebendige Anschauung der 
antiken Formenreinheit. Erst durch Schiller ward Winckelmanns 
Werk vollendet; erst seit er in den Göttern Griechenlands die an 
der Freude leichtem Gängelbande regierten seligen Geschlechter des 
Altertums in brennender Farbenpracht verherrlicht hatte, wurde die 
Sehnsucht nach der erhabenen Einfalt der Antike, der Kultus des 
klassischen Ideals zum Gemeingute der gebildeten Deutschen. Wunder- 
bar schnell lebte Schiller sich ein in diese Welt, die seiner Jugend 
so fremd gewesen, und fand mit genialer Sicherheit die treibende 
Kraft der alten Geschichte heraus, den letzten und höchsten Gedanken 
des Hellenentums: „ist der Leib in Staub zerfallen, lebt der große 
Name noch!“ 
Als die beiden großen Dichter sich verbündeten, da galt es zu- 
nächst, den neuen Idealismus in der Welt durchzusetzen und zu 
behaupten, die Afterweisheit der hausbackenen Moral, der platten 
Nützlichkeitslehren, der phantastischen Unklarheit hinauszufegen aus 
dem Tempel der deutschen Muse, freie Bahn zu schaffen für das 
wahrhaft Bedeutende und Schöpferische, der Mittelmäßigkeit zu 
zeigen, daß die Kunst für sie keinen Raum bietet. Diesem Zwecke 
diente der Tenienstreit, ein Parteikampf großen Stiles, der mit 
aller seiner Grobheit und Gehässigkeit doch notwendig war für die 
Entwicklung unseres nationalen Lebens; die Deutschen wußten wohl, 
daß hier um eine Lebensfrage ihrer Kultur gefochten wurde. Von 
dem tatenlustigen Freunde zu frischem Schaffen angeregt, zeigte 
17 H. v. Treitschke, Feldausgabe. 
257
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.