Full text: Auswahl für das Feld.

sich nun Goethe in immer neuen Wandlungen. Schönheitstrunken, 
heidnisch unbefangen wie ein rosenbekränzter Poet des Altertums, 
besang er in den Römischen Elegien die Freuden des lieberwär— 
meten Lagers, und nur zuweilen, wenn er den majestätischen Aus— 
blick auf das ewige Rom eröffnete, ließ er die Leser erraten, daß 
der Gedankenreichtum eines die Jahrhunderte überschauenden Geistes 
sich hinter der herzhaften Sinnlichkeit dieser lieblichen Verse ver— 
barg. Bald darauf stand er wieder mitten in der deutschen Gegen- 
wart und schilderte mit homerischer Einfalt die gesunde Kraft un- 
serer Mittelstände, die schlichte Größe, die in der Kleinheit des be- 
friedeten Hauses wohnt, und mahnte sein Volk, sich selber treu zu 
bleiben, in schwankender Zeit das Seine zu behaupten. Die warme 
treue Liebe zum Vaterlande, die aus Hermann und Dorothea 
sprach, machte auf die bildungsstolzen Zeitgenossen geringen Ein- 
druck. Aber mit Entzücken erkannten sie sich selber wieder in den 
Gestalten des Wilhelm Meister: in diesen staatlosen Menschen ohne 
Vaterland, ohne Familie, ohne Beruf, die von aller Gebunden- 
heit des historischen Daseins frei, nur einen Lebensinhalt kennen: 
den leidenschaftlichen Drang nach menschlicher Bildung. In dieser 
Odyssee der Bildung hielt Goethe seinem Zeitalter einen Spiegel 
vor, der alle Züge jener literarischen Epoche, ihre Schwächen wie 
ihre Lebensfülle, in wunderbarer Klarheit wiedergab, und löste 
zugleich, was noch keinem Poeten ganz gelungen war, die höchste 
Aufgabe des Romandichters: er zeigte, wie das Leben den stre- 
benden und irrenden Menschen erzieht. 
Minder vielseitig, aber rastlos mit seinem Pfunde wuchernd er- 
rang sich Schiller indessen die Herrschaft auf der deutschen Bühne. 
Die gewaltsame dramatische Aufregung, welche Goethe gern von 
sich fern hielt, war ihm Bedürfnis; glänzende Bilder von Kampf 
und Sieg schritten durch seine Träume, das Schmettern der Trom- 
peten, das Rauschen der Fahnen und der Klang der Schwerter 
verfolgten ihn noch bis auf sein Todesbette. Die Leidenschaften 
des öffentlichen Lebens, die Kämpfe um der Menschheit große 
Gegenstände, um Herrschaft und um Freiheit, jene mächtigen Schick- 
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