persönlichen Ausbildung seiner Bürger dient. Und wieder besteht
für den einzelnen die physische Notwendigkeit und die sittliche
Pflicht, an einem Staate teilzunehmen und ihm jedes persönliche
Opfer zu bringen, das die Erhaltung der Gesamtheit fordert, so-
gar das Opfer des Lebens. Und zwar unterliegt der Mensch
dieser Pflicht nicht bloß darum, weil er nur als ein Bürger ein
ganzer Mensch werden kann, sondern auch weil es ein historisches
Gebot ist, daß die Menschheit Staaten, schöne und gute Staaten
bilde. Die historische Welt ist überreich an solchen Verhältnissen
gegenseitiger Rechte, gegenseitiger Abhängigkeit; in ihr erscheint
jedes Bedingte zugleich als ein Bedingendes. Eben dies erschwert
scharfen mathematischen Köpfen, die wie Mill gern mit einem radi-
kalen Gesetze durchschneiden, oftmals das Verständnis der politischen
Dinge.
Mill versucht nun der Wirksamkeit der Gesellschaft ihre erlaub-
ten Grenzen zu ziehen mit dem Satze: eine Einmischung der Ge-
sellschaft in die persönliche Freiheit rechtfertigt sich nur dann, wenn
sie notwendig ist, um die Gesamtheit selbst zu schützen oder eine
Benachteiligung anderer zu verhindern. Wir wollen diesem Worte
nicht widersprechen — wenn es nur nicht gar so inhaltlos wäre!
Wie wenig wird mit solchen abstrakten naturrechtlichen Sätzen in
einer historischen Wissenschaft ausgerichtet! Denn ist nicht der
„Selbstschutz der Gesamtheit“ historisch wandelbar? Ist nicht ein
theokratischer Staat um des Selbstschutzes willen verpflichtet, so-
gar in die Gedanken seiner Bürger herrisch einzugreifen? Und
sind nicht jene „für die Gesamtheit unentbehrlichen“ gemeinsamen
Werke, wozu der Bürger gezwungen werden muß, nach Zeit und
Ort von grundverschiedener Art? Eine absolute Schranke für die
Staatsgewalt gibt es nicht. Es bildet das größte Verdienst der
modernen Wissenschaft, daß sie die Politiker gelehrt hat, nur mit
Beziehungsbegriffen zu rechnen. Jeder Fortschritt der Gesittung,
jede Erweiterung der Volksbildung macht notwendig die Tätigkeit
des Staates vielseitiger. Auch Nordamerika erfährt diese Wahr-
heit; auch dort sind Staat und Gemeinde gezwungen, in den
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