würde das Muster eines bürgerlichen Trauerspiels sein, wenn nicht
der Dichter durch die Unsicherheit seines sittlichen Gefühls auch dem
Hörer das Gefühl verwirrte. Der Hörer nimmt Partei — nicht
wie der Dichter will für die büßende Heldin, sondern für den harten
alten Philister Meister Anton. Das unglückliche Mädchen hat sich
im Zorn verschmähter Liebe einem ungeliebten Manne verlobt,
und da ihr Gewissen sie noch immer der alten, jetzt sündhaften
Liebe zeiht, wähnt sie sich verpflichtet, dem eifersüchtigen Bräutigam
durch verzweifelte Hingebung ihre Treue zu beweisen. Eine solche
Tat ist denkbar — denn was wäre unmöglich für ein geängstetes
Mädchengewissen? — doch sie steht sittlich tiefer als ein in der
Hitze natürlicher Leidenschaft begangener Fehltritt. Der Dichter
soll uns nicht einreden, das Mädchen sei durch diesen Schritt
nicht innerlich befleckt worden. Der alte borstige Vater hat ganz
recht, wenn er die Schande nicht auf seinem ehrlichen Bürgerhause
dulden will — und über solchen unabweisbaren Verstandesbedenken
geht uns die Freude an dem schönen Gedichte fast verloren.
Mit diesem Werke war ein großer Erfolg errungen, des Dich-
ters dramatisches Talent unzweifelhaft erwiesen. Wer hätte nicht
hoffen sollen, Hebbel werde mit frischem Mute, mit seiner jetzt
durch schöne Reisen erweiterten Bildung fortschreiten auf so glück-
verheißendem Wege? Statt dessen verlor er sich jahrelang in ziel-
loses Experimentieren, er schrieb jene unglückseligen Märchendramen
„der Diamant“ und „der Rubin“, deren Symbolik zu enträtseln
der Mühe nicht lohnt.
In Unteritalien lernte er eine Welt verrotteter Zustände kennen,
einen tief unsittlichen Polizeistaat, einen leeren Lippenglauben, einen
getretenen und verwilderten Pöbel, eine gewissenlose Geldmacht.
Hier, wenn irgendwo, war seine Verachtung der schlechten Wirk-
lichkeit am Platze, hier mußte er fühlen, daß des Künstlers Hände
zu rein sind, um die Verwesung byzantinischer Verhältnisse zu be-
rühren. Und hier gerade ließ er sich durch eine aberwitzige Anek-
dote anreizen zur Erfindung seiner berüchtigten Tragikomödie „ein
Trauerspiel in Sizilien“, welche ein tragisches Geschick in untragischer
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