Full text: Auswahl für das Feld.

auffällige Ungleichheit des Wertes. Wir sehen eine ursprünglich 
poetische Natur vor uns, welche durch übereifrige Verstandestätig— 
keit sich der schönsten Früchte ihres Talentes beraubt. Hebbel er— 
strebt eine Aniversalität, woran selbst ein Goethe nie gedacht 
hat — ein Unterfangen, wobei einem pathetischen Dichter das 
Argste widerfahren muß. Ein Mann wie er konnte in seiner 
Jugend ein Mädchen erschrecken durch heiße, despotische Leiden- 
schaft; er konnte dann ein edles Weib mit jener tiefen und ernsten 
Mannesneigung erfassen, wovon so manches schöne Gedicht an 
Christine Kunde gibt; versucht er jedoch zu tändeln und leicht zu 
kosen, so zeigt er nur die Grazie eines seiltanzenden Elefanten. 
Auch für das einfache Lied fehlt ihm die Naivität. Dagegen sind 
mehrere der Balladen durch ihre einheitliche Stimmung sehr wirk- 
sam, nur leiden sie meist an zu großer Länge; denn der Drama= 
tiker weiß nichts von dem Kunstgeheimnis des lyrischen Rhapso- 
den, durch Verstummen das Tiefste zu sagen. Die Gedichte 
„dem Schmerz sein Recht“ erschüttern durch den heftigen rastlosen 
Kampf eines aufwärtsstrebenden Geistes; doch zeigen auch sie, wie 
selbst die schönsten Gedichte der Sammlung, eine ungelöste Zutat 
von Reflexion. Das Epigramm ist natürlich stark vertreten: fast 
überall Gedanken eines gescheiten Mannes, aber auch überall 
eine unselige Störung, bald durch die Breite der Darstellung, 
bald durch die Prosa des Gedankens oder durch ein geschmack- 
loses Bild. Selbst das verständigste der Gedichte, selbst das Epi- 
gramm, muß in der Phantasie des Künstlers empfangen werden. 
Es ist doch ein frischer, erfreulicher Dichterzug in Hebbels Leben, 
wie er, entzückt von dem liebenswürdigen Spiele einer Künstlerin, 
sie rasch entschlossen von der Bühne heimführte. Beglückt an der 
Seite dieser edlen Frau, in dem Frieden eines wohlgeordneten 
Hauses ließ er jetzt in dem kleinen Epos „Mutter und Kind“ 
alles wieder zu frischem Leben erwachen, was vorzeiten seine 
Phantasie erregt: das derb-tüchtige niederdeutsche Bauernleben, das 
reiche Hamburg und seinen furchtbaren Brand. Auch die Ideen, 
welche seinen Kopf vorzugsweise beschäftigt, das Verhältnis von 
295
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.