als Virgil von seinen Römern ein deutscher Dichter von seinem
Volke singen wird: tantae molis erat Germanam condere
gentem. Es mag heute vielen wie Prahlerei klingen, aber die
Zukunft ist nicht fern, da ein Deutscher den Schriften Mills und
Laboulayes ein Buch entgegenstellen wird, welches das Wesen der
Freiheit, der politischen und der persönlichen, tiefer, lebensvoller
darstellt als jene beiden.
Betrachten wir noch einige Lebensfragen der persönlichen Frei-
heit, deren Lösung zumeist der Sittlichkeit jedes einzelnen in die
Hand gegeben ist. Mills Grundsatz: „in allen Dingen, die nur
des einzelnen Heil berühren, soll jeder nach seiner eigenen Will-
kür handeln dürfen“, ist eben wegen seiner Einfachheit und Dehn-
barkeit unanfechtbar. Einzig auf dem religiösen Gebiete hat er
sich uneingeschränkte theoretische Anerkennung erobert, weil hier
nicht bloß keine Partei einen vollständigen Sieg erfochten hat,
sondern in Wahrheit unversöhnliche Gegensätze einander gegenüber-
stehen. Aber wie weit sind wir stolzen Kulturvölker selbst auf
diesem einen Felde noch von echter Duldsamkeit entfernt! Welch
schwere Anklagen muß Mill hier gegen seine Landsleute erheben!
Nicht genug, daß das Gesetz jeden ehrlichen Ungläubigen, der den
christlichen Eid nicht leisten will, des gerichtlichen Schutzes beraubt.
Wo das Gesetz milder geworden, erhebt sich der finstere Fanatis-
mus der Gesellschaft, besteht mit jüdischer Härte auf der puritani-
schen Feier des Sabbats, drückt dem ehrlichen Freidenker das soziale
Brandmal auf die Stirn, welches tiefer schmerzt als alle Strafen
des Staates, macht ihn brotlos und ächtet ihn aus den Kreisen
der Bildung und der feinen Sitte. Und wie vieles ließe sich
noch sagen gegen jene Engherzigkeit, welche die freie Bewegung
des Menschengeistes in Ewigkeit einzwängen will in den beschränkten
Gedankenkreis der standard works of theology!
Und haben wir Deutschen ein Recht, bloß mit pharisäischem
Behagen dieser Schilderung englischer Unfreiheit zu lauschen? Auch
unser Staat ist aus seiner theokratischen Epoche noch nicht gänzlich
herausgetreten; noch sehr vielen unserer Gesetze steht auf der Stirn
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