Kulturlebens über Bord warfen. Von jenem rohen Junkertume
freilich, welchem die Stallkarriere anständiger scheint als ein wissen—
schaftlicher Beruf, das Faustrecht adliger als der gesetzliche Sinn
des freien Bürgers — von ihm reden wir nicht: dies Zerrbild
des Adels hat seinen Lohn dahin. Aber auch die buntscheckige
Masse der sogenannten gebildeten wohlhabenden Stände hegt und
pflegt eine Fülle unfreier unduldsamer Standesbegriffe. Welche
lieblose Härte des Urteils über die schändlicherweise sogenannten
gefährlichen Klassen! Welch herzloses Absprechen über den „Luxus“
der niederen Stände, während ein freier und vornehmer Mann
sich daran freuen sollte, daß auch der Arme beginnt, etwas auf
sich selbst und den Anstand seiner Erscheinung zu halten! Welche
gemeine Angst bei jeder Regung des Trotzes und des Selbstge—
fühls unter dem niederen Volke! Deutsche Herzensgüte hat uns
zwar davor bewahrt, daß diese Gesinnungen der Gebildeten bei
uns eine so rohe Form annähmen wie bei den schrofferen Briten;
aber solange die aristokratischen Neigungen, wovon wohl noch nie
ein feiner Kopf gänzlich frei gewesen, in solcher Gestalt auftreten,
steht es gar traurig um unsere innere Freiheit.
Vollends ein Gebiet, auf welchem Unfreiheit und Unduldsamkeit
in Fülle wuchern, betreten wir, wenn wir fragen nach den Standes-
begriffen des mächtigsten und geschlossensten der „Stände“ — oder
wie sonst wir diese natürliche Aristokratie nennen wollen — des
männlichen Geschlechts. Unglaublich weit verzweigt besteht unter
uns Herren des Erdkreises eine stille Verschwörung, den Frauen
einen Teil der menschlich harmonischen Bildung grundsätzlich zu
versagen. Denn einen Teil ihrer Bildung erlangen die Frauen nur
durch uns. Unter uns aber versteht sich von selbst, daß religiöse
Aufklärung für den gebildeten Mann eine Pflicht, für den Pöbel
und die Frauen ein Verderben sei, und wie viele finden eine
Frau ganz absonderlich „poetisch“, wenn sie den plumpsten Aber-
glauben zur Schau trägt. Nun gar „politisierende Weiber“ sind
ein Greuel, darüber verlieren wir kein Wort mehr. Ist das unser
mannhafter Glaube an die göttliche Natur der Freiheit? Ist die
4 H. v. Treitschke, Feldausgabe. 40