Full text: Auswahl für das Feld.

zuweist, ist leibeigen; Läuflingseinungen unter den Herren ver- 
hindern das Entweichen der Mißhandelten. So erhält sich hier 
zähe das unberechtigte Volkstum eines Volks von Knechten, wäh- 
rend der preußische Bauer mit der deutschen Sprache allmählich 
auch die Freiheit des Deutschen gewinnt. In den großen Städten 
entstehen einzelne stattliche Unterrichtsanstalten, so schon ums Jahr 
1300 die ehrwürdige Domschule von Reval; doch das undeutsche 
Volk wird den Quellen der Bildung ferngehalten. Unter tau- 
send Bauern, klagt Balthasar Rüssow, kann kaum einer das Vater- 
unser hersagen. Die Kinder schreien, die Hunde verkriechen sich, 
wenn ein Deutscher die raucherfüllte Hütte der Esten betritt. In 
den hellen Nächten des kurzen hitzigen Sommers sitzen dann die 
Unseligen unter der Birke, dem Lieblingsbaume ihrer matten Dich- 
tung, und singen hinterrücks ein Lied des Hasses wider den deut- 
schen Schafsdieb: „Bläht euch auf, ihr Deutschen, vor allen Völ- 
kern der Welt; nichts behagt euch bei dem armen ECstenvolke; 
darum hinunter mit euch zur tiefsten Hölle.“ Jahrhundertelang 
hat solcher Haß der Knechte, solche Härte der Herren angehalten; 
erst in der Zeit der russischen Herrschaft entschloß sich der deutsche 
Adel, den Bauern von der Schollenpflichtigkeit zu befreien. — 
An diesem Gegenbilde ermessen wir, was die Germanisierung von 
Altpreußen bedeutet. 
Kaum war Preußens Unterwerfung vollendet, so richtete der 
Orden seine Pläne auf das Land westlich der Weichsel, das von 
polnischen Vasallen beherrschte Pomerellen. Nicht bloß die ruhe- 
lose Natur des Militärstaats, sondern ein ernsteres politisches Be- 
dürfnis trieb den Orden in diese Bahn. Mit der zunehmenden 
Bebauung des Landes hörte die Weichsel auf, eine natürliche 
Grenze zu sein, und ohne unmittelbare Verbindung mit der starken 
Wurzel ihrer Macht, mit Deutschland, konnte die junge Kolonie 
nicht bestehen. Am glücklichsten freilich für Deutschland, wenn der 
Orden es verstanden hätte, in stetigem Bunde mit der anderen 
Nordostmark des Reichs, mit Brandenburg, das Werk der Ger- 
manisierung hinauszuführen. Aber einen so weiten Horizont um- 
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