Full text: Deutsches Lesebuch. Zweiter Theil. Realienbuch. (2)

48. Der Maulwurf. 55 
ihm. Er wohnt in selbstgegrabenen Gängen unter der Erde. Die- 
elben wühlt er nach allen Seiten hin, um seine Nahrung aufzu- 
uchen, die besonders in Regenwürmern, Engerlingen und Maul- 
wurfsgrillen besteht. 
Unter allen Säugethieren ist der Maulwurf das einzige, 
das seiner Nahrung unter der Erde nachgeht. Und an dem 
einen ist's zu viel, wird mancher sagen- der an seine Felder 
und Wiesen denkt, wie sie mit den Maulwurfshügeln bedeckt 
sind, wie der Boden zerwühlt und durchlöchert wird, und 
wie die Gewächse oben absterben, wenn das heimtückische Thier 
unter den Wurzeln weidet. Nun, so wollen wir denn Gericht 
halten über den Missethäter. Wahr ist's und nicht zu leugnen, 
daß er durch seine unterirdischen Gänge hin und wieder den 
Boden durchwühlt und ihm etwas von seiner Festigkeit raubt. 
Wahr ist ferner, daß durch die herausgestoßenen Erdhaufen viel 
fruchtbares Land bedeckt und die darunter liegenden Keime im 
Wachsthum gehindert, ja erstickt werden können. Dafür ist je- 
doch in einer fleißigen Hand der Rechen gut. Aber wer hat's 
gesehen, daß der Maulwurf die Wurzeln abfrißt ? Wer kann's 
behaupten? Nun, man sagt so: „Wo die Wurzeln abgenagt sind 
und die Pflanzen sterben, wird man auch Manwirse finden, und 
wo keine Maulwürfe sind, geschieht das auch nicht. Folglich thut's 
der Maulwurf.“ — Der das gesagt, ist vermuthlich der nünliche, 
der einmal so behauptet hat: „Wenn im Frühlinge die Frösche 
zeitig quaken, so schlägt auch das Laub bei Zeiten aus. Wenn 
aber die Brösche lange nicht quaken wollen, so will auch das 
Laub nicht kommen. Folglich quaken die Frösche das Laub 
heraus.“ Seht doch, wie man sich irren kann! Aber da kommt 
ein Advokat des Maulwurfs, ein erfahrener Landwirth und 
Naturbeobachter, der sagt also: „Nicht der Maulwurf frißt die 
Wurzeln ab, sondern die Engerlinge, die unter der Erde sind, 
aus welchen hernach die Maikäfer entstehen; der Maulwurf aber 
frißt die Engerlinge und reinigt den Boden von diesen Feinden.“ 
Jetzt wird es also begreiflich, daß der Maulwurf immer da ist, 
wo das Gras und die Pflanzen krank sind und absterben, weil 
die Engerlinge da sind, denen er nachgeht und die er verfolgt. 
Und dann muß er gethan haben, was diese anstellen, und be- 
kommt für seine Wohlthat, die er euch erweisen will, des Henkers 
Dank. „Das hat wieder einer in der Stube erfunden oder aus 
güchern gelernt,“ werdet ihr sagen, „der noch keinen Maulwurf 
gesehen hat.“ Halt, guter Freund, der das sagt, kennt den 
Maulwurf besser als ihr alle; ihr könnt zweierlei Proben an- 
stellen, ob er die Wahrheit sagt. 
Erstlich, wenn ihr dem Maulwurfe in den Mund schaut. 
Denn alle vierfüßigen oder Säugethiere, welche die Natur zum 
Nagen am Pflanzenwerke bestellt hat, haben in jeder Kinnlade,
	        
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