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kann es bei uns nicht vorkommen, daß, wie es in Österreich mehrfach ge-
schehen, eine Gemeinde im Konflikte mit der Regierung „die Geschäfte im
übertragenen Wirkungskreise zurücklegt“ d. h. ihre Mitwirkung bei Be-
sorgung staatlicher Aufgaben einfach aufkündigt. Zweitens, da es keine
Aufzählung gibt, durch welche staatliche Angelegenheiten den Gemeinden zur
Besorgung zugeteilt sind, eine vollständig freie Hand in der Zu-
weisung. Es genügt einfach, daß die zugewiesene Angelegenheit sich als
eine staatliche Aufgabe darstellt und nicht einer anderen Behörde zugeteilt
ist, um der Zuweisung eine legale Basis zu geben.
Daß die Regierung diese ihr zugestandene ziemlich uneingeschränkte
Machtvollkommenheit bei uns in Sachsen in ungemessenerer Weise ausnütze
als anderwärts, läßt sich nicht behaupten, höchstens könnte man sagen, daß
sie genau so, wie andere Regierungen, der allgemeinen Zeitströmung folgt,
entsprechend der alten Syntaxregel: „Was ich nicht deklinieren kann, das
seh' ich als ein Neutrum an“ alle Aufgaben, für die man sonst keine Unter-
flucht weiß, der Gemeinde aufzuladen und daß man bei der fast in allen
Dingen beliebten „Kostenfreiheit“ nicht dafür sorgt, daß die Gemeinden sich
für ihren Aufwand angemessen erholen können, während doch insoweit, als
z. B. die staatliche Gerichtsbarkeit in Frage kommt, recht ausgiebige Taxen
allerwärts vorgesehen werden. Erst in neuerer Zeit macht sich in dieser
Beziehung ein erfreulicher Umschwung geltend.
In Ansehung der Gemeindeautonomie hingegen ist in Sachsen
den Gemeinden von jeher ein viel freieres Feld eingeräumt gewesen, als
z. B. in Preußen, namentlich auf dem Gebiete des kommunalen Steuer-
wesens. In der Vorrede zu seiner Schrift: „Zur Gemeindesteuerreform
in Deutschland mit besonderer Beziehung auf seächsische Verhältnisse“ läßt
sich Fr. J. v. Neumann dahin vernehmen: „Wie kaum ein anderes Land
zeichnet sich Sachsen nicht nur durch große Freiheit in der Wahl kommunaler
Deckungsmittel sondern auch dadurch aus, daß die aus dieser Freiheit hervor-
gegangenen tatsächlichen Verhältnisse sehr wenig bekannt geworden sind.
Fast jede Stadt hat ihre besonderen Abgabeneinrichtungen usw.“ Und wie
hier der Staat in Ansehung der Besteuerungsformen die Gemeinden sich
möglichst frei hat entwickeln lassen, ebenso schonend hat er, obschon der
Beruf und damit auch die Finanzwirtschaft und Finanzgewalt der Kommunal=
körper denen des Staates gegenüber die enger begrenzten bleiben, und sich
daraus schon das Verhältnis der Unterordnung unter das Herrschafts-
verhältnis des Staates ergibt, in die Entwicklung des Finanzwesens der
Gemeinden eingegriffen. Es ist um die Gemeindeautonomie ein eigenes
Ding. Sie gehört zu den uferlosen und relativen Begriffen, bei denen sich