Full text: Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte Königreich Sachsen (Vierter Band Erstes Heft)

168 Dr. Hübschmann. 
so hat er binnen drei Tagen zu erklären, für welche Abteilung er die Wahl 
annimmt. Erfolgt fristgemäß keine Erklärung, so gilt die Wahl für die 
Abteilung angenommen, in der er zuerst gewählt ist. Das Los entscheidet, 
wenn solche mehrfache Wahl zu gleicher Zeit erfolgt ist. Nachwahlen sind 
innerhalb zweier Wochen nach Abschluß der Wahlen sämtlicher Abteilungen 
vorzunehmen. Zum Zwecke der Wahl wird die Stadt in Bezirke geteilt. — 
Dieses Wahlsystem ist neueren Datums, es wurde im Jahre 1898 be- 
schlossen. Vorher wurden 48 Stadtverordnete (ansässige und unansässige je 
zur Hälfte), bei jährlicher Drittelerneuerung des Kollegiums, von der ge- 
samten Bürgerschaft nach dem Listensystem gewählt. Bereits nach der Wahl 
im Jahre 1897 und noch mehr vor und nach derjenigen im folgenden 
Jahre war in den verschiedensten Kreisen der Bürgerschaft lebhaft die Frage 
erörtert worden, ob das bisherige Wahlsystem auf die Dauer die Fort- 
entwicklung des Gemeinwesens in den bisherigen Bahnen und insbesondere 
auch auf nationaler Grundlage sichern könne, oder ob es nicht dazu führen 
werde und führen müsse, daß der stark belastete Besitz und die Intelligenz 
der Kopfzahl zum Opfer gebracht und einer einzelnen Partei die Herrschaft 
im Stadtverordnetenkollegium verschafft werde. Man betonte auch, daß 
sich das gleiche Stadtverordnetenwahlrecht als unweise herausgestellt habe, 
weil es die für das Blühen und Gedeihen der Stadt wichtigsten und brauch- 
barsten Elemente nicht zur Geltung kommen lasse, und als ungerecht, da es die 
Bürger, die vermöge ihrer Steuerkraft den Hauptteil der städtischen Lasten zu 
tragen hätten, fast rechtlos mache. War doch in der letzten Zeit beispielsweise 
die Wahl eines Großindustriellen geradezu eine Unmöglichkeit. Diese Be- 
strebungen fanden Widerhall im Stadtverordnetenkollegium selbst und ver- 
dichteten sich schließlich dort zu dem Antrag, in eine Prüfung der Wahlrechts- 
frage einzutreten und den Rat um seine Mitwirkung dabei zu ersuchen. 
Der NRat konnte in Würdigung der ganzen Sachlage sich damit um so mehr 
einverstanden erklären, als jener Antrag sich streng auf gesetzlichem Boden, 
auf der Grundlage der revidierten Städteordnung bewegte und durchaus ge- 
recht und billig erschien, da für den Fall einer Anderung des Wahlrechts 
die Berücksichtigung aller Klassen der Bürgerschaft, insbesondere auch der 
Arbeiterschaft, angestrebt wurde. In der gemeinschaftlichen Sitzung beider 
städtischer Körperschaften vom 7. Dezember 1898 wurde die Abänderung 
des Wahlrechts vom Rate einstimmig und von den Stadtverordneten mit 
allen gegen 15 (sozialdemokratische) Stimmen angenommen. 
Das neue Wahlsystem nach Berufsständen, das Chemnitz als erste 
unter den deutschen Großstädten einführte (das bremische Wahlgesetz ist 
auf anderen Verhältnissen aufgebaut), macht die verschiedensten Schichten der
	        
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