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Reichstag. — 196. Sitzung. Freitag den 25. Oktober 1918.
(Schlee, Abgeordneter.)
(A gehört, bei dem der Thorner Bürgermeister Rösner hin-
gerichtet worden ist ohne jeden Grund?! Meine Herren,
wer so im Glashause sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!
(Stürmischer Beifall rechts.)
Ihre polnische Freiheit kennen wir! Wir verzichten auf
sie, wir danken dafür! Im Gegenteil, wir werden ver-
hüten, Mann für Mann, daß Sie jemals in unser Land
ommen!
Und dann, was haben Sie denn getan? Die Knochen
von Hunderttausenden unserer Soldaten bleichen auf den
Gefilden Polens, die Ihnen das freie Polenreich erkämpft
haben, gegen den Willen des großen Teils der deutschen
Bevölkerung! Damals habe ich mir gesagt mit bitterem
Schmerz: Weiß Gott, die größten Kälber wählen ihre
Schlächter selber.
(Sehr wahrl)
Sie haben wir als unser Unglück an unsere Seite gestellt.
Sie sollen uns nicht dankbar sein, — das verlangt nie-
mand; aber bescheiden sollten Sie sein! Nichts haben
Sie getan für die Erringung des Königreichs Polen!
Große Worte haben Sie gemacht, und jetzt kommen Sie
her und verlangen deutsches Land und deutsches Volk!
Und wie ein Hohn klingt es auf alle diese Gerechtigkeits-
phrasen, wenn Sie sagen: Ja, wenn Danzig unter pol-
nische Herrschaft kommt, so muß es eben das Los der
Minderheit tragen. Wie kommen Sie dazu, von uns zu
verlangen, daß wir dieses Los tragen sollen, während
Sie es zu tragen hätten kraft Gesetzes, Geschichte und
Herkommen.
(Lebhaftes Bravo rechts.)
Also damit kommen Sie uns doch nicht! Und wenn Sie
glauben, uns damit schrecken zu können, daß Sie Zwie-
tracht in unserem Volke säen werden, dann sage ich Ihnen:
alle Parteien im deutschen Osten, hoch und niedrig, alt
und jung, arm und reich sagen Ihnen: wenn ihr die
(3) deutschen Provinzen haben wollt, dann kommt und holt
sie euch! Ihr werdet euch blutige Köpfe holen.
(Stürmischer Beifall rechts und bei den National-
liberalen. — Händeklatschen und Bravorufe auf
der Zuhörertribüne. — Erregte Zurufe von den
Polen. — Erneuter Beifall. — Glocke des Präsi-
denten.)
Vizepräsident Dove: Es ist nicht gestattet, daß auf
der Tribüne Meinungsäußerungen durch Klatschen oder
sonstwie kundgegeben werden!
Das Wort hat der Herr Abgebordnete Dr. Cohn
(Nordhausen).
(Andauernde große Unruhe.)
Meine Herren, ich bitte um Ruhe und ersuche, die
Unterhaltungen zu unterlassen. Es kann ja kein Redner
zu Worte kommen.
Dr. Cohn (Nordhausen), Abgeordneter: Meine
Herren, ich mochte glauben, daß die Bemerkungen, die ich
zu machen habe, die Erregung nicht verschärfen werden,
die sich gegenwärtig des Hauses bemächtigt hat. Ich habe
nur in aller Kürze folgendes festzustellen. Mein Freund
Ledebour hat zwar die Sprache ein wichtiges Kennzeichen
der Nationalität genannt. Er aber wie meine gesamte
Fraktion sehen als das wichtigste und wesentlichste Merk-
mal der Zugehörigkeit zu einer Nationalität den Willen
des einzelnen, der Volkheit an, sich dieser Nationalität
zuzuwenden. Das ist eine notwendige Folgerung aus dem
Rechte zur Selbstbestimmung des einzelnen und der Nation.
Die Frage der Staatszugehörigkeit steht demgegenüber sehr
weit zurück. Restlos nationale und sprachlich einheitliche
Staaten sind nirgends gegeben. Es kommt in jedem einzelnen
konkreten Falle darauf an, den nationalen Minderheiten
einen ausreichenden Schutz nicht nur durch formale gesetz-
liche Bestimmungen zu versprechen, sondern durch die
Praxis des täglichen staatlichen, gesellschaftlichen Lebens (O
zu gewährleisten. Nach dieser Richtung haben wir uns
in der Stockholmer Erklärung bei den vorzährigen
sozialistischen Besprechungen mit hinreichender Deutlichkeit
bereits geäußert, und die polnischen Kollegen, die gestern
und heute mit solcher Entschiedenheit behauptet haben,
daß, wie das alte Polen ein Hort auch des Schutzes der
nationalen Minderheiten gewesen sei, so auch das neu
werdende es sein werde, werden hoffentlich dieses Versprechen
wahr machen. Man wird sie daran erinnern, nicht nur
in ihrem Verhalten gegenüber den Juden, worauf der
Herr Kollege Gothein schon hingewiesen hat, sondern auch
gegenüber den anderen nationalen kleinen Einsprengseln,
die sich in ihrem Reiche finden werden, wie sie es auch
immer gestalten.
UÜber die dänische Frage hat gestern der Herr Staats-
sekretär Solf sich dahin geäußert, daß er, „nachdem das
Wilsonsche Programm als die Grundlage des Gesamt-
friedenswerkes angenommen“ sei, es „nach allen Richtungen
hin und in allen Punkten loyal und im Sinne voller
Gerechtigkeit und Billigkeit erfüllen“ werde. Gegenüber
diesen Grundsätzen hat freilich der Herr Staatssekretär
mit den Dänen eine Ausnahme machen wollen, indem er
sagte, hier liege ein Vertrag nur zwischen Osterreich und
Deutschland vor, der durch Abmachungen im Jahre 1878
aufgehoben worden sei. Mein Freund Ledebour hat
gestern mit vollem Recht durch einen Zwischenruf darauf
hingewiesen, daß dies ein zu formalistischer Standpunkt
sei, und ich darf den Herrn Staatssekretär Solf und die
deutsche Regierung an das Versprechen erinnern, das
gestern abgegeben worden ist: nicht auf die formalen
Vertragsbestimmungen kann es ankommen, sondern, wenn
einmal die dänische Frage aufgeworfen worden ist, müssen
die nationalen Grenzstreitigkeiten zwischen Dänemark und
Preußen im Sinne dieser Grundsätze und unter keinen
Umständen gegen den Willen der nordschleswigschen Be-
völkerung gelöst werden. Es muß sich ja bei einer loyal
durchgeführten Abstimmung ergeben, wohin der über-
wiegende Wille der nordschleswigschen Bevölkerung geht.
Über Elsaß-Lothringen und die Regelung seines künf-
tigen Schicksals wenige Worte. Wir haben wegen Elsaß-
Lothringens immer auf dem Standpunkt gestanden und
dies auch namentlich in unserem Stockholmer Manifest
zum Ausdruck gebracht: Elsaß-Lothringen durfte keinen
Kriegsgrund in der Vergangenheit abgeben — hierin
wissen wir uns völlig eins mit unseren sozialistischen
Freunden in Frankreich —, und es darf in der Zukunft
unter keinen Umständen einen Grund zur Kriegsverlängerung
abgeben. Ob das endliche Schicksal von Elsaß-Lothringen
auf Grund einer Abstimmung festzustellen sei, das ist eine
Frage, die mitten im Flusse der Entwicklung steht. Ich
darf auch hier daran erinnern, daß wir im Sommer
vorigen Jahres in dem schon mehrfach genannten Stock-
holmer Manifest empfohlen haben, in ehrlicher, ordnungs-
mäßiger Abstimmung, die einige Zeit nach dem Kriege
stattzufinden hätte, den Willen der Bevölkerung zu er-
forschen und nach diesem Willen loyal zu handeln.
Wenige Worte, meine Herren, zu der Gesetzesvorlage,
die uns heute in dritter Lesung beschäftigt! Was jetzt
aus den Beschlüssen zweiter Lesung hervorgegangen ist, ist
zweifellos eine Verbesserung des Artikel 11 gegenüber
dem heutigen Rechtszustande. Man darf indes nicht an
die alleinseligmachende Kraft formaler Verfassungs-
bestimmungen glauben. Man muß sich klar sein, daß
dieses geschriebene Recht nur eine relative Bedeutung
haben kann. Für die jetzige Zeit, für den jetzigen Fall
ist von dem Artikel 11 nur der Absatz 2 wichtig, die
Beteiligung des Reichstags am Friedensschlusse. Ob
aber, wie in Absatz 1 vorgesehen ist, der Reichstag noch
in einem künftigen Falle einer Kriegserbklärung, einem
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