Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

Reichstag. — 193. Sitzung. Dienstag den 22. Oktober 1918. 
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(Ebert, Abgeordneter.) 
(A) Wir hätten gewünscht, daß die Regierung gegenwärtig auf 
(B) 
die Waffe des U-Boot-Krieges großzügig Verzicht ge- 
leistet hätte. 
(Zuruf rechts.) 
Der Befehl, der an die U-Boot-Kommandanten ge- 
geben worden ist, beweist aber jedenfalls den Entschluß, 
dem Standpunkt des Präsidenten gerecht zu werden und 
den Haß abzubauen, der schon so lange die kriegführenden 
Völker trennt. 
Präsident Wilson hat die Zerstörung „jeder will- 
hürlichen Macht“ verlangt, die für sich geheim oder nach 
eigenem Belieben den Frieden der Welt stören kann. 
Damit hat er sich eine alte Forderung der deutschen 
Sozialdemokratie zu eigen gemacht! Schon 1908 anläßlich 
des „Daily Telegraph"--Interviews hat unsere Fraktion 
in dieser Richtung genau formulierte Anträge hier ein- 
gebracht, Anträge, die jetzt endlich — leider viel zu spät 
— zur Annahme gelangen werden. 
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) 
So sehr aber auch zu bedauern ist, daß die Demokratie 
erst in dem Augenblick zur Durchführung kommt, in dem 
sich der militärische Vorteil auf seiten unserer Gegner 
neigt, so ist die Demokratie doch der eigenen Initiative 
unseres Volkes entsprungen und in seiner eigenen Gesinnung 
festgewurzelt. 
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) 
Niemand in der Welt braucht daran zu zweifeln, daß 
unser Volk das Recht der Selbstbestimmung sich nicht 
mehr entwinden lassen wird. 
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) 
Sein Selbstbestimmungsrecht kann aber ein Volk nur 
dann wahren, wenn es auf dessen Aufrechterhaltung nach 
außen ebenso bedacht ist wie nach innen. 
(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) 
In diesem Sinne fordern wir deutsche Sozialdemokraten 
für uns dasselbe Recht, das wir den anderen Völkern 
zugestehen, 
(sehr gut! bei den Sozialdemokraten) 
und das wir ihnen — ich will es offen aussprechen — 
nie hätten vorenthalten dürfen. 
(Erneute Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) 
Meine Herren, am 5. Oktober hat sich dem Deutschen 
Reichstag eine Regierung vorgestellt, die ihre Existenz 
von der Zustimmung des Reichstags, von der Billigung 
weitester Volkskreise und insbesondere von der Mitwirkung 
der Vertrauensmänner der Arbeiter abhängig gemacht hat. 
Mit Recht ist deshalb der 5. Oktober als ein Wendepunkt 
in der Geschichte Deutschlands bezeichnet worden. Er ist 
der Geburtstag der deutschen Demokratie. 
(Bravol links.) 
Die Regierung des Volksvertrauens — das will sie sein 
— leitet gegenüber dem früheren Spott auf die „Politik 
der Hasenheide“, gegenüber dem feudalen System der 
Volksverachtung eine neue innerpolitische Epoche für 
Deutschland ein. 
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozlaldemokraten.) 
Das deutsche Volk läßt sich nicht länger bevormunden; es 
will frei sein und wird frei sein! 
(Wiederholter Beifall bei den Sozialdemokraten.) 
Die sozialdemokratische Partei hat von jeher die Über- 
zeugung vertreten, daß ein großes Volk der Gegenwart 
nicht auf die Dauer von einer dünnen Oberschicht, von 
lleinen Gruppen auf Grund ererbter Vorrechte regiert 
werden könne. Im alten Deutschland waren ganze Klassen, 
Nationen und Konfessionen von der schaffenden Mitwirkung 
im Staate nahezu vollständig ausgeschlossen. 
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) 
Die Fortsetzung dieser Ausschaltungspolitik ist unmöglich, 
denn sie ist für Deutschland verhängnisvoll geworden. 
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) 
  
In dieser schwersten Prüfungszeit muß der Staat alle 
Volkskräfte mobil machen und für sich gewinnen, wenn 
er nicht untergehen, wenn er leben will. Wer sich jetzt 
noch der deutschen Demokratie widersetzt, vergeht sich nicht 
nur an den Menschenrechten unseres Volkes, sondern auch 
an der Sicherheit unseres Landes. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Die Kreise, die bisher in Preußen-Deutschland die Allein- 
herrschaft hatten, das bureaukratisierte Junkertum und 
die verjunkerte Bureaukratie, haben endgültig ausgespielt. 
(Sehr richtig! links.) 
Für Volk und Reich ist die Demokratisierung zur Lebens- 
notwendigkeit geworden. Hier gilt das bekannte Wort: 
Wenn die Völker fortschreiten und die Verfassungen still- 
stehen, kommen die Revolutionen. Die besitzenden Klassen 
Deutschlands können froh sein, wenn der deutsche Volks- 
staat sich im Wege der politischen Entwicklung durchsetzt. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Blicken Sie nach Rußland, und Sie sind gewarnt! 
(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) 
Der 5. Oktober leitet also einen Systemwechsel von 
großer Tragweite ein. Er ist der Ubergang zu einem 
neuen Staatswesen, in dem das Volk durch seine freige- 
wählten Vertreter seine Zukunft gestalten soll. Natürlich 
ist das, was bisher geschah, nur der Anfang eines Uber- 
ganges. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Wir Sozialdemokraten sind uns darüber klar, daß von 
wirklicher Demokratie und Volksbefreiung erst dann ge- 
sprochen werden kann, wenn die wirtschaftliche Ausbeutung 
beseitigt und die Klassengegensätze aufgehoben sind. Aber 
heute gilt es zunächst im Rahmen der bestehenden Wirt- 
schaftsordnung den Volkswillen zur maßgebenden Gewalt 
im Reiche zu erheben. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Dazu bedarf es auf der Stelle durchgreifender Ande- 
rungen unserer Reichsverfassung. 
Die Vorlage wegen Abänderung des Artikel 11 der 
Reichsverfassung liegt uns bereits vor. Gleich meinem 
Herrn Vorredner muß ich zum Ausdruck bringen, daß der 
Entwurf uns nicht weit genug geht. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Wir müssen verlangen, daß das Recht der Kriegs- 
erklärung ohne Einschränkung und ohne Ausnahme in 
allen Fällen von der Zustimmung des Reichstags ab- 
hängig gemacht wird. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Meine Herren, das Volk ist es, das dabei seine Haut zu 
Markte zu tragen hat. 
(Erneute Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) 
Ein entsprechender Antrag der Mehrheitsparteien wird dem 
Reichstage zugehen; wir werden der so abgeänderten Vor- 
lage dann unsere Zustimmung geben. 
Die Vorlage wegen Artikel 11 der Reichsverfassung 
sieht auch vor, daß Friedensverträge künftig ebenso wie 
Verträge mit fremden Staaten, welche sich auf Gegen- 
stände der Reichsgesetzgebung beziehen, der Zustimmung 
des Reichstags bedürfen. Wir sind Geguer der geheimen 
Verträge, die in der Vorgeschichte dieses Krieges eine 
recht verderbliche Rolle gespielt haben. 
(Sehr richtig! links.) 
Deshalb erwarten wir von der Reichsregierung, falls wir 
zu einer Völkerrechtsliga kommen sollten, daß sie sich 
rüchaltlos gegen Geheimverträge und Sonderverträge 
erklärt. 
(Schr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Unuseres Erachtens muß auch im Grundgesetz des 
Reichs die jetzt zum Durchbruch gekommene parlamen- 
tarische Regierungsform in aller Form unwiderruflich 
festgelegt werden. Es muß dabei zum Ansdruck kommen, 
(O 
(bD)
	        
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