Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

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Reichstag. — 193. Sttzung. Dienstag den 22. Oktober 1918. 
  
  
(Ebert, Abgeordneter.) 
(A) daß der Reichskanzler nur mit Zustimmung des Reichs- 
tags ernannt werden kann und sein Amt niederzulegen 
hat, wenn der Reichstag es fordert. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Erst dann ist für die Zukunft die parlamentarische Re- 
gierungsform gesichert. 
Das vom Herrn Reichskanzler heute angekündigte 
Ministerverantwortlichkeitsgesetz begrüßen wir. Es muß 
darin aber dem Reichstage die Möglichkeit gegeben werden, 
den Reichskanzler oder andere verantwortliche Minister 
vor einem Staatsgerichtshof zur Verantwortung ziehen 
zu können. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Die Sicherstellung der Demokratie erfordert aber dringend 
weitergehende Verfassungsänderungen. 
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) 
Die Militärgewalt darf nicht länger mehr Staat im 
Staate sein. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Das Militärkabinett muß seiner Machtbefugnisse entkleidet 
und in jeder Hinsicht dem verantwortlichen Kriegs- 
minister unterstellt werden. 
ç (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Die Ernennung oder Verabschiedung der Offiziere und 
der Beamten darf nur unter Gegenzeichnung der Minister 
erfolgen, die dem Parlamente verantwortlich sind. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Verhängnisvoll und völlig unhaltbar, meine Herren, 
1 ganz absolutistische Stellung des Großen General= 
abs, 
(sehr richtigl bei den Sozialdemokraten) 
der verfassungsmäßig weder dem Reichskanzler noch dem 
Reichstage verantwortlich ist. Meine Herren, täuschen 
wir uns nicht: für das persönliche Regiment und für die 
Politik der gepanzerten Faust ist kein Raum mehr in 
(B) Deutschland. 
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) 
Die Befehlsgewalten und alles, was darauf aufgebaut 
ist, muß der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und 
des Reichstags unterstellt werden. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Soll die neue Demokratie nicht Kulisse und Detoration 
sein, so kann als Zentralgewalt nur ein Wille herrschen, 
das ist die vom Volksverlauen getragene Volksregierung. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Meine Herren, wir erwarten von dem Herrn Reichskanzler, 
daß die heute von ihm angekündigte Vorlage über die 
Ministerverantwortlichkeit unverzüglich dem Reichstage 
vorgelegt wird. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Wir werden dann für die von mir angekündigten weiter- 
gehenden Anderungen der Verfassung dem Nescheta ent- 
sprechende Anträge unterbreiten. 
Meine Herren, nur die Freiheit kann die Wunden 
heilen, die uns der Krieg so tief geschlagen hat. 
(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) 
Nur ehrliche, tatkräftige Regierung für das Volk durch 
das Volk kann uns den Frieden zurückbringen. Deutsch- 
lands gewaltige wirtschaftliche Entwicklung lag offen vor 
den Augen aller Welt. Kaum der ärgste Feind versagte 
unseren technischen und geistigen Leistungen die Anerkennung. 
Aber auch der beste Freund im Auslande hat es nicht 
verstanden, daß wir trotzdem in der politischen Entwicklung 
so weit zurückbleiben konnten. 
(I9Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Hier liegt der Brennpunkt des Mißtrauens, das uns die 
ganze Welt entgegenbringt. 
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) 
Es heute endlich zu überwinden, ist das Gebot der 
Stunde. Engstirniger Polizeigeist, frivoles Säbelrasseln 
  
und provozierender Junkerübermut haben Haß und Ver= (O) 
derben über uns gebracht. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Spätestens, als wir im Kriege der feindlichen Riesen- 
koalition gegenüberstanden, hätten wir aus freier Ent- 
schließung den feindlichen Kriegshetzern die wirksame 
Propaganda der deutschen Unfreiheit entreißen müssen. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Nun duldet die Not keinen Aufschub mehr. Deutschland 
muß frei werden oder untergehen. Dem alten Preußen 
hat in diesen Tagen die „Kreuzzeitung“ die Sterbeglocke 
geläuret. Aber es ist nur die konservative Parteiherrschaft 
in Preußen, die untergeht. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Das wahre Preußen des preußischen Volkes gewinnt da- 
durch neues Leben. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Seit eineinhalb Jahrzehnten führt das arbeitende Volk 
Preußens einen zähen, ununterbrochenen Kampf um seine 
politische Gleichberechtigung. 15 Monate sind vergangen, 
seit der König von Preußen feierlich die Abschaffung der 
Klassenvorrechte im Wahlrecht angekündigt hat. Ver- 
zweifelt haben sich die bisher Bevorrechteten gewehrt. Große 
politische und moralische Werte sind damit verwüstet. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Dem Reich ist schwerer Schaden zugefügt worden. 
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) 
Wo war denn die von den Konservativen immer so laut 
gerühmte Staatstreue und Vaterlandsliebe, als der 
Weltkrieg auf seinem Höhepunkte die Entsfesselung aller 
Volkskräfte verlangte? 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Lieber haben sie das Reich und Preußen in die größten 
Gefahren gestürzt, ehe sie dem Volke gutwillig seine 
Rechte gaben. 
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) 
Das Wort des Herrn v. Oldenburg-Jannschau: „Wenn 
in Prenßen das Wahlrecht eingeführt wird, wie es vor- 
liegt, dann haben wir den Krieg verloren!“ — das Wort 
wird den Konservativen nie vergessen werden. 
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) 
Jetzt endlich im letzten Augenblick hat die konservative 
Partei das gleiche Wahlrecht als Gebot nationaler Not- 
wendigkeit anerkannt. Zu spät, meine Herren, um das 
Urteil über Sie zu mildern, daß Sie Ihre Vorrechte höher 
gestellt haben als die Not des Landes. 
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) 
Der Herr Reichskanzler hat heute erklärt, das gleiche 
Wahlrecht in Preußen sei gesichert; es soll schnellstens 
und restlos durchgeführt werden. Meine Herren, wir 
warnen auf das allerdringendste, in Rücksicht auf formale 
Vorschriften die Durchführung noch auf Monate hinaus- 
zuschieben. 
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) 
Es ist allerhöchste Zeit, daß in Preußen das Klassen- 
parlament dem Volksparlament Platz macht. 
Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Wenn irgendwo, so ist hier Eile geboten. Schnellstens 
muß in Preußen die Einheit zwischen Volk und Staat 
hergestellt werden. Nur dann kann Preußen leben und 
seine führende Stellung im Reich wiedergewinnen. 
(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) 
Von der Einsichtslosigkeit und dem Eigennutz der 
herrschenden Kaste, die sich im Kriege schonungslos enthüllt 
hat, hebt sich um so strahlender die glänzende Tüchtigkeit 
ab, die in diesem Kriege die deutschen Bolksmassen auf 
allen Gebieten bewiesen haben. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Das deutsche Volk hat in diesem Kriege eine Widerstands-
	        
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