6162
Reichstag. — 193. Sttzung. Dienstag den 22. Oktober 1918.
(Ebert, Abgeordneter.)
(A) daß der Reichskanzler nur mit Zustimmung des Reichs-
tags ernannt werden kann und sein Amt niederzulegen
hat, wenn der Reichstag es fordert.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Erst dann ist für die Zukunft die parlamentarische Re-
gierungsform gesichert.
Das vom Herrn Reichskanzler heute angekündigte
Ministerverantwortlichkeitsgesetz begrüßen wir. Es muß
darin aber dem Reichstage die Möglichkeit gegeben werden,
den Reichskanzler oder andere verantwortliche Minister
vor einem Staatsgerichtshof zur Verantwortung ziehen
zu können.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Die Sicherstellung der Demokratie erfordert aber dringend
weitergehende Verfassungsänderungen.
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)
Die Militärgewalt darf nicht länger mehr Staat im
Staate sein.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Das Militärkabinett muß seiner Machtbefugnisse entkleidet
und in jeder Hinsicht dem verantwortlichen Kriegs-
minister unterstellt werden.
ç (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Die Ernennung oder Verabschiedung der Offiziere und
der Beamten darf nur unter Gegenzeichnung der Minister
erfolgen, die dem Parlamente verantwortlich sind.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Verhängnisvoll und völlig unhaltbar, meine Herren,
1 ganz absolutistische Stellung des Großen General=
abs,
(sehr richtigl bei den Sozialdemokraten)
der verfassungsmäßig weder dem Reichskanzler noch dem
Reichstage verantwortlich ist. Meine Herren, täuschen
wir uns nicht: für das persönliche Regiment und für die
Politik der gepanzerten Faust ist kein Raum mehr in
(B) Deutschland.
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)
Die Befehlsgewalten und alles, was darauf aufgebaut
ist, muß der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und
des Reichstags unterstellt werden.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Soll die neue Demokratie nicht Kulisse und Detoration
sein, so kann als Zentralgewalt nur ein Wille herrschen,
das ist die vom Volksverlauen getragene Volksregierung.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Meine Herren, wir erwarten von dem Herrn Reichskanzler,
daß die heute von ihm angekündigte Vorlage über die
Ministerverantwortlichkeit unverzüglich dem Reichstage
vorgelegt wird.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Wir werden dann für die von mir angekündigten weiter-
gehenden Anderungen der Verfassung dem Nescheta ent-
sprechende Anträge unterbreiten.
Meine Herren, nur die Freiheit kann die Wunden
heilen, die uns der Krieg so tief geschlagen hat.
(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)
Nur ehrliche, tatkräftige Regierung für das Volk durch
das Volk kann uns den Frieden zurückbringen. Deutsch-
lands gewaltige wirtschaftliche Entwicklung lag offen vor
den Augen aller Welt. Kaum der ärgste Feind versagte
unseren technischen und geistigen Leistungen die Anerkennung.
Aber auch der beste Freund im Auslande hat es nicht
verstanden, daß wir trotzdem in der politischen Entwicklung
so weit zurückbleiben konnten.
(I9Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Hier liegt der Brennpunkt des Mißtrauens, das uns die
ganze Welt entgegenbringt.
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)
Es heute endlich zu überwinden, ist das Gebot der
Stunde. Engstirniger Polizeigeist, frivoles Säbelrasseln
und provozierender Junkerübermut haben Haß und Ver= (O)
derben über uns gebracht.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Spätestens, als wir im Kriege der feindlichen Riesen-
koalition gegenüberstanden, hätten wir aus freier Ent-
schließung den feindlichen Kriegshetzern die wirksame
Propaganda der deutschen Unfreiheit entreißen müssen.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Nun duldet die Not keinen Aufschub mehr. Deutschland
muß frei werden oder untergehen. Dem alten Preußen
hat in diesen Tagen die „Kreuzzeitung“ die Sterbeglocke
geläuret. Aber es ist nur die konservative Parteiherrschaft
in Preußen, die untergeht.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Das wahre Preußen des preußischen Volkes gewinnt da-
durch neues Leben.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Seit eineinhalb Jahrzehnten führt das arbeitende Volk
Preußens einen zähen, ununterbrochenen Kampf um seine
politische Gleichberechtigung. 15 Monate sind vergangen,
seit der König von Preußen feierlich die Abschaffung der
Klassenvorrechte im Wahlrecht angekündigt hat. Ver-
zweifelt haben sich die bisher Bevorrechteten gewehrt. Große
politische und moralische Werte sind damit verwüstet.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Dem Reich ist schwerer Schaden zugefügt worden.
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)
Wo war denn die von den Konservativen immer so laut
gerühmte Staatstreue und Vaterlandsliebe, als der
Weltkrieg auf seinem Höhepunkte die Entsfesselung aller
Volkskräfte verlangte?
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Lieber haben sie das Reich und Preußen in die größten
Gefahren gestürzt, ehe sie dem Volke gutwillig seine
Rechte gaben.
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)
Das Wort des Herrn v. Oldenburg-Jannschau: „Wenn
in Prenßen das Wahlrecht eingeführt wird, wie es vor-
liegt, dann haben wir den Krieg verloren!“ — das Wort
wird den Konservativen nie vergessen werden.
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)
Jetzt endlich im letzten Augenblick hat die konservative
Partei das gleiche Wahlrecht als Gebot nationaler Not-
wendigkeit anerkannt. Zu spät, meine Herren, um das
Urteil über Sie zu mildern, daß Sie Ihre Vorrechte höher
gestellt haben als die Not des Landes.
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)
Der Herr Reichskanzler hat heute erklärt, das gleiche
Wahlrecht in Preußen sei gesichert; es soll schnellstens
und restlos durchgeführt werden. Meine Herren, wir
warnen auf das allerdringendste, in Rücksicht auf formale
Vorschriften die Durchführung noch auf Monate hinaus-
zuschieben.
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)
Es ist allerhöchste Zeit, daß in Preußen das Klassen-
parlament dem Volksparlament Platz macht.
Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Wenn irgendwo, so ist hier Eile geboten. Schnellstens
muß in Preußen die Einheit zwischen Volk und Staat
hergestellt werden. Nur dann kann Preußen leben und
seine führende Stellung im Reich wiedergewinnen.
(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)
Von der Einsichtslosigkeit und dem Eigennutz der
herrschenden Kaste, die sich im Kriege schonungslos enthüllt
hat, hebt sich um so strahlender die glänzende Tüchtigkeit
ab, die in diesem Kriege die deutschen Bolksmassen auf
allen Gebieten bewiesen haben.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Das deutsche Volk hat in diesem Kriege eine Widerstands-