Reichstag. — 193. Sitzung. Dienstag den 22. Oktober 1918. 6179
(Graf v. Westarp, Abgeordneter.)
(A) Es ist von unserer Seite, wie ich doch von der Tribüne Der Erfolg spricht jedenfalls bisher nicht dafür. Die
des Hauses aus feststellen möchte, jedenfalls keine Auße-
rung gefallen, die nach irgendeiner Richtung den Schluß
hätte zulassen können, daß wir nicht auch unter schweren
Opfern bereit gewesen wären, uns in den Dienst der
nationalen Verteidigung zu stellen. Ein derartiges Aner-
bieten ist nicht an uns herangetreten. Im Gegenteil,
man hat uns von Anbeginn an mitgeteilt, daß man beab-
sichtige, das Ministerium als Parteiministerium unter
Ausschluß der Rechten zu bilden, und hat als Grund
dafür angeführt, daß man glaube, daß nur, wenn wir
ausgeschlossen wären, das beabsichtigte Friedensangebot
im Auslande auf eine günstigere Behandlung rechnen
könnte.
(Hörtl hörtt rechts.)
Die erste Tat der neuen Mehrheitsregierung, abge-
sehen von der Schaffung einer Anzahl von neuen Staats-
sekretärstellen und Unterstaatssekretärstellen, deren Zahl
mir im Augenblick nicht ganz gegenwärtig ist, —
(Lachen links)
die erste Tat dieser neuen Mehrheitsregierung war das
Friedensangebot und seine Durchführung in den Ant-
worten an den Herrn Präsidenten Wilson. Auch hier
muß ich feststellen, daß nach den Gepflogenheiten und den
Grundsätzen des parlamentarischen Systems, die ich voll
anerkenne, wir, die konservative Fraktion, der bei Aus-
führung dieses Schrittes und der darauf folgenden
Schritte nicht zugezogen worden sind. Es ist das aus-
zusprechen vielleicht deshalb nötig, weil sich sonst in der
Offentlichkeit aus den Pressenachrichten ein falsches Bild
ergeben könnte. Man kann wohl feststellen, daß jetzt bei
dem seit drei Wochen eingeschlagenen Verfahren der
Reichstag als solcher in geringerem Umfange zuge zogen
wird als bisher,
(sehr richtig! rechts)
(8) und daß auch den Abgeordneten als solchen, den Führern
der Parteien in geringerem Maße Einfluß auf schwebende
Entscheidungen der Regierung eingeräumt wird, ihnen auch
in geringerem Maße Informationen zugehen, als das unter
der früheren Regicrung der Fall war.
(Sehr richtig! rechts.)
Das ist an sich verständlich, weil die Regierung vermöge
der ihr angehörenden parlamentarischen Staatssekretäre
weiß, daß sie einer Mehrheit im Reichstage unter allen
Umständen sicher ist. Wir waren daher darauf angewiesen,
unsere Wünsche hinsichlich der Behandlung dieser Lebensfrage
für die ganze Zukunft des deutschen Reiches auf schriftlichem
Wege dem Herrn Reichskanzler vorzutragen, und wir be-
halken uns vor, daß auch noch in der Offentlichkeit bekannt
zugeben. Ich sage dieses nicht, um irgend eine Klage
darüber zu erheben, um irgend eine Anderung anzuregen,
ich sage es nur, um auch vor der Offentlichkeit und vor
der Geschichte das Maß der Verantwortung festzustellen,
das wir, meine Freunde und ich, an diesem Schritte zu
tragen oder vielmehr nicht zu tragen haben.
(Sehr richtigl! rechts.)
Die Kritik an dem Friedensangebot und an den
beiden ihm folgenden Noten muß sich zurzeit — davon
bin ich uberzeugt — eine gewisse Zurückhaltung auferlegen,
schon deshalb, weil die Gründe für und wider nicht in
voller Ausführlichkeit und Offenheit ausgesprochen werden
können. Trotzdem habe ich die Pflicht, als unseren
Standpunkt folgendes festzustellen: Obwohl wir glauben,
die Gründe, die zu diesem Schritte geführt haben, voll-
ständig zu kennen, und obwohl wir geneigt sind, diese
Gründe zu würdigen, haben doch meine Freunde und ich
uns nicht davon überzeugen können, daß der Schritt des
Friedensangebots und namentlich seine Durchführung im
einzelnen notwendig und zweckmäßig gewesen sei.
(Sehr richtig! rechts.)
Reichstag. II. 1914/1918. 193. Sitzung.
Antworten, die der Präsident Wilson auf die an ihn er-
gangenenen Schreiben gegeben hat, lassen zum mindesten
den allerstärksten Zweifel darüber offen, ob wir uns
wirklich auf dem richtigen Wege befunden haben.
Bei Durchführung dieser Friedenspolitik kommt ein
doppelter Gesichtspunkt in Betracht. Wir alle, meine
Freunde und ich, ebenso wie irgend jemand in diesem
Hause und draußen im Lande, wünschen von Herzen den
Frieden.
« (Sehr richtig! rechts.)
Wir wünschen von Herzen, daß das jetzt unternommene
Verfahren dazu führen möge, dem entsetzlichen Völker-
gemetzel ein Ende zu machen. Aber ebenso glauben wir,
doch feststellen zu können, daß in diesem hohen Hause,
bei der Regierung, im ganzen deutschen Volke auch voll-
kommene Einigkeit dahin besteht, daß das Deutsche Reich
und das deutsche Volk nicht gezwungen und nicht gewillt
sind zur völligen Kapitulation,
(sehr richtig! rechts)
nicht gewillt und auch nicht gezwungen sind, Bedingungen
anzunehmen, die mit der Ehre und — um mich mit dem
Wortlaut der Antwortnote auszudrücken — den Grund-
sätzen des Gerechtigkeitsfriedens unvereinbar sind, die
— um das von unserem Standpunkte aus hinzuzu-
fügen — unvereinbar sind mit der Sicherheit und Zukunft
Deutschlands.
(Sehr richtig! — Bravol! rechts.)
Meine Freunde und ich betonen in diesem Zusammenhange
ganz besonders, daß wir unbedingt festhalten zu müssen
glauben an der Unversehrtheit des Reichsgebiets, auch im
Osten, und daß wir aus diesem Grunde mit ganz be-
sonderer Entschiedenheit — um nicht einen schärferen Aus-
druck zu gebrauchen — die unerhörten Ansprüche zurück-
weisen zu müssen glauben, die von polnischer Seite in
letzter Zeit erhoben worden sind.
(Bravol rechts.)
Kein Schritt deutschen Bodens auch im Osten soll abge-
treten werden.
Von diesen beiden Grundgedanken aus hätten wir in
mancher Beziehung den Wortlaut der letzten Antwort-
note an den Präsidenten anders gewünscht, als er
ergangen ist. Wir haben den lebhaftesten Zweifel, ob
die Note so, wie sie ergangen ist, zum Erfolg führen
wird. Gerade deshalb hätien wir gewünscht, daß den
Verleumdungen der feindlichen Presse über unser Heer
und unsere Marine auch in dieser Note energisch und
bestimmt entgegengetreten wäre, daß man sie zurück-
gewiesen hätte, anstatt sie durch die gemachten Zugeständ-
nisse, die neutrale Kommission und die Einschränkung
des U- Boot-Kriegs, doch mindestens halb und halb zu-
zugeben.
(Sehr wahrt! rechts.)
Wix hätten gewünscht, daß man auch auf das Verhalten
der Feinde hingewiesen hätte, darauf, daß England es
gewesen ist, das Hunderttausende und Millionen deutscher
Frauen und Kinder zum Hungertode verurteilen wollte
und durch die Absperrmaßnahmen schweren Entbehrungen
ausgesetzt hat. In den letzten Tagen noch ist in der
englischen Presse das frivole Wort mit einer gewissen
Genugtuung ausgesprochen worden, daß man in Zu-
kunft — und ich muß sagen: mit Recht — in
Deutschland die Krankheiten der Unterernährung auf
Generationen hinaus als die englische Krankheit wird
bezeichnen müssen, und ich meine, wenn man schon
die Einschränkung des U-Boot-Krieges zugestand, hätte
man auch die Einschränkung dieser Absperrungsmaßnahmen
fordern können und sollen.
(Sehr richtig! rechts.)
Im übrigen hätte es doch wohl für die Antwort überaus
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(CO
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