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(Graf v. Westarp, Abgeordneter.)
(A) nahe gelegen, auf folgendes hinzuweisen: wenn der Prä-
r—
sident Wilson sich entschlossen hätte, und sobald er sich
entschließen würde, auf unser Waffenstillstandsangebot
einzugehen, dann würde ja jede Zerstörung des Kampf-
geländes und jeder U-Boot-Krieg von selbst aufhören.
Die Verantwortung, wenn die Dinge weitergehen, liegt
bei ihm und nicht bei uns. «
(Sehr richtig! rechts.)
Uberaus zweifelhaft ist es unter diesen Umständen,
welches praktische Ergebnis im Sinne Wilsons die von
ihm geforderte und die zugestandene Einschränkung des
UBoot-Kriegs überhaupt haben soll. Geht er auf unser
Waffenstillstandsangebot ein, so hört der U-Boot-Krieg
von selbst in wenigen Tagen auf. Das einzige wirklich
praktische Ergebnis unseres Zugeständnisses könnte also
nur sein, daß bei einem weiteren Hinziehen und Ver-
schleppen der Antwort wir unsere Waffen preisgegeben
hätten. Wir bedauern dieses Zugeständnis tief und lebhaft.
(Sehr richtig! rechts.)
So können wir uns auch mit den Ausführungen über
die innere Politik nicht einverstanden erklären, die in un-
serer Antwortnote enthalten sind. Wir können uns der Be-
fürchtung nicht entziehen, daß diese Ausführungen als
eine Maßnahme aufgefaßt werden könnten, durch die wir
unsere inneren Verhältnisse gewissermaßen unter die Kontrolle
und Aufsicht unserer jetzigen Feinde gestellt hätten. Die
Antwortnote ist einer langen, ausführlichen Beratung
unterzogen worden. Ich kann nicht zugeben, daß dieses
Verfahren sich von demjenigen des Präsidenten Wilson
vorteilhaft unterschieden hat, und daß die lange Dauer
der Beratung zu einer besonders klaren Festigkeit der
Antwortnote geführt habe.
(Sehr richtig! rechts.)
Es ergibt sich nun die Frage: was ist die Aufgabe
der Stunde? Eins steht fest: Bis jetzt ist der Präsident
Wilson auf ein Waffenstillstandsangebot nicht eingegangen.
Bis jetzt hat er nur eine Antwort erlassen, die weitere
Verhandlungen nötig macht. Ob wir uns unterwerfen
wollten oder nicht: wir stehen unter allen Umständen
vor der Notwendigkeit, den Kampf der Waffen fortzuführen.
Die neue Antwort des Präsidenten Wilson steht viel-
leicht unmittelbar bevor. Heute wissen wir noch nicht,
wie sie ausfallen wird. Der Herr Reichskanzler selbst
und — wir nehmen wohl mit Recht an — mit ihm die große
Mehrheit dieses hohen Hauses, rechnet mindestens mit der
Möglichkeit, daß nach der Antwort des Präsidenten Wilson
weiter gekämpft werden muß. Meine Freunde und ich sind
pessimistisch, und wir rechnen mit der Wahrscheinlichkeit,
daß die neue Antwort zu neuen Kämpfen zwingen wird,
ob wir wollen oder nicht. Daraus ergibt sich die Auf-
gabe, die allen anderen vorangestellt werden muß. Ich
will das eine aussprechen: sobald und solange die Ne-
gierung diese eine Aufgabe erfüllt, sind wir trotz aller Be-
denken, die wir gegen die letzte politische Entwicklung und
gegen die Aktion der Friedensnote gehabt haben, bereit,
uns in voller Einigkeit der Regierung mit den übrigen
Parteien des Hauses auf den Boden der Erfüllung dieser
Aufgabe zu stellen.
(Bravol rechts.)
Diese Aufgabe ist die, daß die Kampfkraft unseres
Heeres und Volkes neu gestärkt wird.
(Bravo rechts.)
Reichstag. — 193. Sitzung. Dienstag den 22. Oktober 1918.
Dazu ist nötig, dem Heere einen Ersatz aus der Heimat (O-
in so hohem Maße zuzuführen, wie es nur irgend möglich
ist. Wir richten den Wunsch an die Reichsregierung,
daß sie alle Maßnahmen ergreifen möge, um jede kampf-
fähige Kraft aus der Heimat, die zur Verfügung steht,
an die Front zu bringen.
Meine Freunde und ich haben einen Antrag eingebracht,
in dem wir den Wunsch aussprechen, die Löhnung der
Soldaten und die Bezüge der Offiziere zu erhöhen, die
erstere zum mindesten zu verdoppeln. Es ist notwendig,
daß endlich das Gefühl der Bitterkeit und Ungerechtigkeit
in etwas beseitigt werde, das draußen besteht, wenn die
kämpfenden Männer sehen, wie in der Heimat vielleicht
ebenso kampffähige Männer ihren persönlichen Vorteil wahr-
nehmen können. Die Stärkung des Heeres durch Zu-
führung neuer Menschenkraft und neuer moralischer Kraft
ist nur möglich, wenn in der Heimat Opferfreude, Opfer-
mut und Opferwilligkeit wieder geweckt werden,
(sehr richtig! rechts)
wenn der Geist der Freiwilligkeit wiedergeweckt wird.
(Sehr richtig! rechts.)
Nur so kann der Front draußen in dem ungeheuer
Schweren, was sie zu bestehen und zu tun hat, neuer
Rückhalt gegeben werden. Wir haben geglaubt, in den
Kreisen, die uns nahestehen, die Arbeit zur vollen Auf-
klärung und zur Aufrufung des Volkes begiunen zu
sollen. Wir wissen wohl, daß vermöge mancher Verhetzung,
daß vermöge der bisherigen politischen Entwicklung weite
Kreise des Volkes auf unsere Stimme nicht bören.
Aus diesem Grunde, vor allen Dingen aber, weil wir
glauben, daß keine Zersplitterung der Aufklärungs-=
arbeit eintreten darf, richten wir die Forderung an
die Reichsregierung, daß sie das Volk aufruft
zu neuem Kampf, daß sie es aufklärt über das, worum
es geht.
(Sehr richtig! rechts.)
Wenn das geschieht, werden wir hinter der neuen Regie-
rung stehen, und wenn das geschieht, so wissen wir in
vollem Vertrauen zu der Kraft unseres Volkes, daß das
deutsche Volk keinen Frieden der Kapitulation, keinen
schmachvollen Frieden, keinen Frieden, der sein Dasein
und seine Zukunft vernichtet, wird annehmen wollen und
anzunehmen brauchen.
(Stürmischer Beifall rechts.)
Präsident: Meine Herren, von den Herren Abge-
ordneten Gothein, Herold, Dr. Stresemann, Ebert und
anderen ist folgende Resolution eingegangen:
Der Reichstag billigt die Erklärungen des
Reichskanzlers und spricht ihm sein Vertrauen aus.
Es liegt ein Antrag auf Vertagung vor. Ich
hätte Ihnen sowieso vorgeschlagen, jetzt die Verhandlungen
abzubrechen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich schlage Ihnen vor, die nächste Sitzung abzu-
halten: Mittwoch, den 23. Oktober, nachmittags 2 Uhr,
mit der Tagesordnung:
Fortsetzung der soeben abgebrochenen Beratung.
Das Haus ist damit einverstanden.
Ich schließe die Sitzung.
(Schluß der Sitzung 6 Uhr 13 Minuten.)
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