Reichstag. — 194. Sitzung. Mittwoch den 23. Oktober 1918.
618#,
(Haase (Königsberg!, Abgeordneter.)
(A) lediglich vor ihr zurückzuscheuen, das ist nicht ein Zeichen
B)
von großer politischer Einsicht. Jedenfalls bleiben alle
Parteien dieses Hauses, die jene erste U-Boot-Resolution
gefaßt haben, für die Folgen mit verantwortlich.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
An dem Zustande, der eingetreten ist, tragen sie überhaupt
die Schuld, weil sie es gewesen sind, die bis zum letzten
Augenblick dem alten System, unserer Heeresleitung ins-
besondere, die Mittel bewilligt haben, um den Krieg
fortzusetzen, den das alte System eingeleitet hat.
Sie berufen sich in den Mehrheitsparteien auf die
Friedensresolution vom 19. Juli 1917. Diese Friedens-
resolution sollte doch wirklich endlich begraben sein. Ich
wenigstens habe es höchst sonderbar empfunden, daß die
Mehrheitsparteien dem neuen Herrn Reichskanzler die
Bedingung gestellt haben, daß diese Friedensresolution
auch zu einem Bestandteile seines Programms gemacht
werde; denn wie diese Friedensresolution mit den
Wilsonschen Grundsätzen in Einklang zu bringen ist, das
i# hr Geheimnis, das Sie niemals werden aufklären
nnen.
(Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Wie die Friedensresolution aufzufassen ist, das kann man
lediglich nach der Art ihrer Anwendung bestimmen, und
zur Anwendung ist sie bei den Friedensverträgen von
Brest-Litowsk und bei dem Friedensvertrag von Baukarest
gekommen. Der Staatssekretär Erzberger ist es gewesen,
der in diesem Hause mir gegenüber, als jene Friedens-
verträge geschlossen wurden, erklärte, daß sie im Rahmen
der Friedensresolution vom 19. Juli 1917 lägen.
(Hortl hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Daß diese Friedensverträge einen Gewaltfrieden und nicht
einen Rechtsfrieden bedeuten, das bestreitet heute niemand.
Wie kann man da noch jene Friedensresolution heran-
ziehen und als Schaustück dem Volk oder gar der ge-
samten Welt zeigen! Es wird immer nur von einer
Friedensresolution des 19. Juli 1917 gesprochen. Aber
neben jener berüchtigten Resolution lag noch eine andere
vor, die von meiner Fraktion eingereicht worden war.
Diese Resolution, die alle Parteien des Hauses nieder-
gestimmt haben, drückte das klar aus, was allein als
Grundlage eines Rechtsfriedeuns gelten kann. Es heißt,
wie ich Ihnen ins Gedächtnis zurückführe, in der Ein-
leitung:
Der Reichstag erstrebt einen Frieden ohne
Annexionen irgendwelcher Art, ohne Kriegs-
entschädigung auf Grund des Selbstbestimmungs-
rechts der Völker. Er erwartet insbesondere die
Wiederherstellung Belgiens und die Wiedergut-
machung des ihm zugefügten Unrechts.
(Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
An diesem Wortlaut war nicht zu deuteln und zu rütteln,
und hätten wir dise Bestimmungen angenommen, so hätte
die Welt rechtzeitig erfahren, daß die deutsche Volks-
vertretung sich von dem Boden der Gewaltpolitik ab-
gewendet hat und den Frieden auf einer demokratischen
Grundlage herstellen will.
Indessen, der Gedanke des Selbstbestimmungsrechts
der Bölker dringt siegreich in der Welt durch. Kein Land
kann sich ihm mehr entziehen, und da ist es wichtig, fest-
3t alten, daß es die revolutionären Sozialdemokraten, die
ich in Zimmerwald während dieses Krieges vereinigten,
waren, die als erste diesen Gedanken als Voraussetzung
für einen gedeihlichen Frieden proklamierten.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Meine Fraktion darf es für sich in Anspruch nehmen, daß
sie in diesem Hause zu einer Zeit, wo die anderen nicht
daran dachten, sondern alle das Dogma von der Unver-
sehrtheit der Grenzen Deutschlands, des alten österreichischen
und sogar des türkischen Staates verkündeten, das Selbst-
bestimmungsrecht als denjenigen Grundsatz feierten, der (C)
sällietlich zur Durchsetzung kommen und die Grundlage
er Friedensbedingungen bilden werde. Jetzt gilt es,
jede Zweideutigkeit unter allen Umständen zu ver-
meiden, weil Unaufrichtigkeit das stärkste Friedens-
hindernis bildet.
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Die Rede, die der Herr Reichskanzler gestern gehalten
hat, hat ebenso enttäuscht wie seine erste Rede. Ein
Gedanke bewegt jetzt beherrschend die ganze Welt: wird
der Waffenstillstand schnell zustande kommen? In der
Heimat wie draußen an der Front bricht überall das
Verlangen durch: Schluß mit dem grausigen Krieg! Man
versteht es nicht, daß die Regierung auf die letzte Note
des Herrn Wilson eine Woche gebraucht hat, um eine
Antwort zurechtzustellen. Jeder Tag fordert Tausende
von Menschenleben, macht Tausende zu Krüppeln. Schnelle
Entschließungen sind erforderlich, um das Leid nicht noch
mehr zu verstärken. Wenn die Note nur des äußeren
Glanzes entbehrte, wie ihr manche zum Vorwurf gemacht
haben, dann könnten wir froh sein. Aber sie ist etwas
Halbes, Unklares und Unbestimmtes, und es ist deswegen
nicht die Hoffnung gegeben, daß sie sofort zu Waffenstill-
standsverhandlungen führen werde.
Herr Graf Westarp hat gestern in seiner Rede den
Mut gehabt, zu erklären, daß, obwohl er die Vorgeschichte
dieses Waffenstillstandsangebots kenne, er doch mit dem
Angebot nicht einverstanden gewesen sei. Soll denn in
der Situation, wie sie sich herausgestellt hat, wirklich der
Krieg noch weiter gehen? Was beabsichtigen Herr Graf
Westarp und seine Freunde? Es ist ja in den Zeitungen
bereits von vielen Seiten darauf hingewiesen worden, daß
das Waffenstillstandsangebot entsprungen ist der Initiative
von Hindenburg und Cudendorff.
(Hört! hörtl bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Es ist in der Tat nicht richtig, daß die gegenwärtige neue (D)
Regierung etwa aus eigenem Antriebe dieses Angebot
gemacht hat.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Der alten Regierung lag es bereits vor; die alte Re-
gierung hatte den ersten Entwurf bereits fertiggestellt.
(Hörtl hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Wir wissen ja, meine Herren, daß, als sich die Vertreter
der Mehrheitsparteien zusammenfanden, um in die Re-
gierung einzutreten, sie nicht etwa daran dachten, ein
Friedensangebot zu machen, sondern, daß sie sich zusammentun
wollten, um die nationale Verteidigung. zu organisteren,
(hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)
bas heißt, um den Krieg zu verschärfen und zu ver-
ängern.
(Sehr wahrl bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Hindenburg und Ludendorff waren es dann, die erklärten,
es müsse ein Friedensangebot gemacht werden.
(Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Und wie immer in diesem Kriege, gewöhnlich zum
Schlechten, vielleicht auch einmal sum Guten, waren es
Hindenburg und Ludendorff, die die politischen Beschlüsse
bestimmten. Meine Herren, ist das der Fall — und es ist
so — dann ist es undegreiflich, wie nicht alles geschieht, um
schnell den Waffenstillstand zu erlangen.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.
Jedes weitere Blutvergießen ist ret selbst von militärischen
Gesichtspunkten aus, die für mich und meine Freunde
nicht maßgebend sind, völlig unnütz, völlig sinnlos.
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen So aldemokraten.)
Es kann doch niemand auf den Gedanken kommen, daß
jene Heerführer aus weicher Stimmung, aus einem über-
quellenden Friedensbedürfnis heraus zu dem Entschlusfse
ekommen sind, Waffenstillstand nach usuchen. Dann aber
haben wir an die Regierung die Aufforderung zu richten,
851“