Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

Reichstag. — 194. Sitzung. Mittwoch den 23. Oktober 1918. 
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(Haase [Königsberg!, Abgeordneter.) 
Meine Herren, wir verlangen aber auch Ausdehnung 
der Amnestie auf Grund eines Gesetzes, wie wir es eingereicht 
haben, auf die Ausländer und die Angehörigen der 
besechten Gebiete. Ich will nicht wiederholen, wielin diesen 
besetzten Gebieten der Terror gewütet hat, der Terror 
mit einer gesetzlichen Umhüllung, was für drakonische 
Strafen wegen politischer Betätigung gegen einzelne Per- 
sonen verhängt worden sind. Es ist ja gestern noch 
darüber gesprochen worden. In Finnland ist ein 
Schreckensregiment, wie es in der Welt. noch nie erlebt 
worden ist. » 
(Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Viele Tausende von Kämpfern aus den Reihen der 
Arbeiterklassen und Bauern sind mit Maschinengewehren 
abgeschlachtet worden, nachdem sie sich selbst ihr Grab 
haben graben müssen. 
(Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
80 000 finnische Revolutionäre wurden gefangen gesetzt, 
50 000 sind seitdem der Blutorgie der finnischen Regierung 
zum Opfer gefallen. 
(Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
10 000 sollen jetzt begnadigt werden; 20 000 sollen noch 
in Gefangenschaft bleiben. 
(Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Meine Herren, vor kurzem ist die Nachricht gekommen, 
daß der frühere Senator Fanner, der in Skandinavien 
für humanitäre Zwecke zur Unterstützung der Notleidenden 
in Finnland tätig war, verhaftet worden ist. Wenn die 
deutsche Regierung nicht die Gendarmen geliefert hätte 
für v55 Bourgeoisie, so wären solche Zustände unmöglich 
gewesen. 
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Und wenn die deutsche Regierung sich aus Finnland zurück- 
zieht — je schneller desto besser, nicht nur für unsere 
Politik, sondern für die Menschlichkeit, vor allem für die 
  
(B) Arbeiter in Finnland selbst! 
Meine Herren, die ganzen Verfassungsentwürfe, die 
Sie uns vorgelegt haben, sind ja nur wie ein Flicken 
auf dem absolutistischen, militaristischen Mantel. 
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Es sollen in Zukunft Abgeordnete Mitglieder der Regie- 
rung sein. Demokratisch ist es, daß, wenn ein Parlaments- 
mitglied in die Regierung eintritt, es zunächst sein Mandat 
den Wählern zur Verfügung stellt, um festzustellen, ob es 
auch dann noch das Vertrauen seiner Wähler hat. Aber 
wir verkennen nicht, daß, nachdem das Proporzwahlrecht 
in einzelnen Bezirken eingeführt ist, dieser Grundsatz sich 
nicht mehr durchführen läßt. Wir werden also für diese 
Vorlagen stimmen. 
Der Antrag der Regierung, daß die Mitwirkung des 
Reichstags bei Erklärung von Krieg und bei Schluß 
von Frieden eintreten soll, ist völlig unzulänglich. Würde 
nur der Regierungsantrag angenommen, so bliebe in Wahr- 
heit alles beim alten. 
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Denn dann würde der Kaiser nach wie vor das Recht 
haben, für den Fall, daß er glaubt, daß ein Angriff auf 
das Reichsgebiet erfolgt ist, allein den Krieg zu erklären. 
Das haben nun die Monarchen und die Staatsmänuer 
immer verstanden, daß sie den Gegner ins Unrecht zu 
setzen suchten, daß sie jeden Krieg als einen Angriffskrieg zu 
charakterisieren unternahmen. Haben wir doch vernommen, 
daß wir von Frankreich dadurch angegriffen worden seien, 
daß französische Flieger über Nürnberg und Karlsruhe 
geflogen sind. Diese Lüge hat kurze Beine gehabt. 
Amtlich ist bald festgestelt worden, daß weder über Nürn- 
berg noch über Karlsruhe ein Flieger gewesen ist, daß in 
keinem dieser Orte eine Bombe abgeworfen worden ist. 
Auf solche Argumente könnte sich also auch später der 
Kaiser stützen und Krieg erklären. Wir wollen auch den 
Reichstag. II. 1914/1918. 194. Sitzung. 
  
Bundesrat ausschalten, wir wollen, daß das Volk kraft (0) 
seiner Souveränität über sein Schicksal allein entscheiden 
soll, daß der Reichstag ausschließlich den Krieg erklären, 
den Frieden schließen soll. 
Zu der Volkssouveränität paßt es auch nicht, daß eine 
unkontrollierbare Macht, der Kaiser, nach seinem Belieben 
die Volksvertretung nach Hause schicken kann. Wir haben 
infolgedessen den Antrag gestellt, daß die Bestimmung un- 
serer Reichsverfassung, nach der der Kaiser das Recht hat, 
den Reichstag aufzulösen, beseitigt wird. Bei dem raschen 
Wechsel der politischen Ereignisse ist es ferner wichtig, daß 
die Dauer der Legislaturperiode herabgesetzt wird. Wir 
schlagen Ihnen eine Binshrige egislaturperiode vor. 
(Zuruf. 
— Nein, meine Herren, wir haben eine einjährige Etats- 
periode, und es entspricht durchaus dieser Bestimmung, 
daß auch, wenn ein neuer Etat vorgelegt wird, das Volk 
wiederum bestimmt, wie die politische Situation zu be- 
urteilen ist, und daß deshalb ein neuer Reichstag gewählt 
wird. Aber wollen Sie wei Jahre, dann läßt sich 
darüber reden; wir haben viel wichtigere Sorgen. Wir 
wollen, daß die ganze Verfassung von Grund aus ge- 
ändert wird. Ein Wirbelsturm geht durch die Welt, und 
in dieser Zeit, wo alles von unten nach oben sich kehrt, 
wo die tiefgreifendsten Umwälzungen vor sich gehen, da 
wollen wir keinen Kaiser, keinen Bundesrat, keinen Reichstag 
mit den geringen Befugnissen haben, die in der gegen- 
wärtigen Verfassung enthalten sind. Es muß zur Re- 
publik kommen; aber eine Republik, die eine kapitalistische 
ist, ist keineswegs unser Ideal. Wir sehen das Heil der 
Arbeitermassnn nicht in ihr, wenn wir auch nicht verkennen, 
daß jede Republik Hemmnisse im Klassenkampf beseitigt. 
Wir sind vor allen Dingen jetzt entschlossen, die Massen 
mit dem Gedanken zu erfüllen, daß es nichts Wichtigeres 
gibt, als einen Frieden herbeizuführen, der die Gewähr 
der Dauer in sich schließt. 
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 
Wir sind durchaus nicht in höchstem Maße begeistert für 
Wilson, wir glauben nicht, daß, wenn ein Friede nach 
Wilsonscher Art zustande kommt, dann die Arbeitermassen 
auf ihre Rechnung kommen. Wir fürchten, daß, wenn die 
Regierungen sich auf dem Friedenskongreß geeinigt haben, 
daß sie, die jetzt miteinander hadern, dazu übergehen 
werden, die russische Revolution gemeinsam zu unter- 
drücken. Der Herr Reichskanzler hat in einem Interview, 
das er am 15. Februar d. J. dem Direktor des 
Wolffschen Telegraphenbureaus, Herrn Mantler, gab, die 
russische Revolution als Cholera und Pest bezeichnet. 
(Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Er hat erklärt, daß, wenn Ghclera und Pest drohen, 
damn sich alle zidilisierten Staaten zu gemeinsamen Ab- 
sperrungsmaßregeln zusammenschließen müssen. 
(Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
„Kreuzzeitung“ und „Frankfurter Zeitung“ haben in 
traulichem Verein nach demselben Ziel hingestrebt, haben 
gerufen, daß man sich zusammentun müsse, um den 
Bolschewismus zu unterdrücken. Der sozialdemokratische 
Parteivorstand hat diese Bewegung mit seinem Aufruf 
noch gestärkt und gefördert. 
(Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Meine Herren, es kommt nicht darauf an, ob man mit 
jeder einzigen Handlung der revolutionären Arbeiter- 
regierung in Rußland einverstanden ist. Worauf es an- 
kommt, ist, daß in Rußland im großen Maßstabe der 
Versuch unternommen wird, die sozialistischen Forderungen 
durchzuführen. Da mag man Kritik am einzelnen üben, 
aber man soll nicht jetzt, wo diese Republik sowohl von 
der Entente wie von Deutschland bedrängt wird, ihr in 
den Rücken fallen. 
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
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