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(Dr. v. Payer, Stellvertreter des Reichskanzlers.)
Aber, meine Herren, alle diese Regierungen sind an
eine Voraussetzung gebunden: sie müssen erfüllt sein von
einem einheitlichen, klaren, alles überragenden Ziele,
dem alle anderen Richtungen und Bestrebungen sich als
verhältnismäßig unbedeutend unterzuordnen haben. Ist
das nicht der Fall, verfolgen innerhalb einer solchen Re-
gierung verschiedene Richtungen verschiedene Ziele, dann
bringt die Regierung nichts fertig, das Fuhrwerk bleibt
stehen. Es muß stehen bleiben, wenn ein Roß vorwärts
und das andere Roß nach der umgekehrten Richtung zieht.
Und, was vielleicht noch schlimmer ist: solche Regierungen
entbehren jeglichen Vertrauens.
(Sehr richtig! links.)
Wir aber in der heutigen Regierung brauchen in diesen
Tagen das Vertrauen, vor allen Dingen im Innern.
(Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Ich werfe die Frage auf, hätten wir heute das Vertrauen
der Bevölkerung im großen und ganzen, wenn wir die
Regierung durch Aufnahme konservativer Parlamentarier
in sie verstärkt hätten? Wir wären dann wohl einig in
einem Punkte, nämlich in der Entschlossenheit, das
Vaterland mit äußerster Kraft zu verteidigen.
(Zuruf rechts.)
— Es handelt sich eben nicht bloß um das. Das möchte
ich gerade auseinandersetzen. Wir wären aber nicht einig
über den Inhalt des Friedens, den wir erstreben. Wir
wären nicht einig über den Weg, auf dem wir zu diesem
Frieden kommen wollen. Wir wären nicht einig über
die Geflissentlichkeit, mit der man diesem Frieden ent-
gegenstrebt, und wären nicht einig, sogar recht uneinig
über die Reformen, die nach unserer Überzeugung im
Innern durchgeführt werden müssen, wenn das Vaterland
bestehen bleiben soll.
(Bravol links.)
Woher sollte eine Regierung, in der Sie auf der Rechten
Ihre Anschauungen naturgemäß vertreten müßten, die
Kraft nehmen, auch nur zu bestehen, geschweige, sich das
Vertrauen anderer zu erwerben? Wir aber brauchen das
Vertrauen in unsere Verhältnisse, nicht bloß im Innern,
wir brauchen auch das Vertrauen des Auslandes, bis zu
einem gewissen Grade sogar das Vertrauen unserer Feinde.
Wir wollen den Frieden haben und wir haben ihn auch
notwendig. Darüber sind wir einig. Unsere Feinde aber
mißtrauen unserer ehrlichen Absicht, einen Frieden des
Rechts zu schließen, sie mißtrauen uns hauptsächlich auf
Grund mannigfacher Vorkommnisse in der Vergangenheit,
von denen wir es ihnen nicht verübeln können, wenn sie
ihnen gewisse Gründe des Zweifels entnehmen. Wir
können deshalb niemand in der Regierung brauchen, der
Fut noch mehr für einen Gewalts= als für einen Rechts-
eden ist.
(Sehr richtig!)
Wir brauchen, wenn wir Vertrauen haben sollen, wenn
wir den Frieden baben wollen, eine klare Scheidun
zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Man stelle sih
nur den Gedanken vor Augen, daß der Graf Westarp,
der gestern die Ausführungen zu der U--Boot-Frage und
zu unseren innerpolitischen Verhältnissen abgegeben hat,
parlamentarischer Staatssekretär wäre, entsendet in die
Regierung von der konservativen Partei. Es wäre un-
möglich, mit solchen Verschiedenheiten der Auffassung
überhaupt zu bestehen.
Weiter mißtrauen unsere Gegner und mit ihnen viel-
fach das neutrale Ausland auch der Verjüngung unserer
inneren Zustände, der Demokratisierung der Verfassung,
der Gesetzgebung und der Verwaltung, wie sie im Gange
ist. Auch das ist ein Hindernis des Friedens. Es
müßte ein Schaden für unsere Zukunft entstehen, wenn
wir diese Hindernisse weiter bestehen ließen. Wir können
also keine Gegner der Reform in dieser Reform-
Reichstag. — 194. Sitzung. Mittwoch den 2s. Oktober 1918.
regierung brauchen. Die Aufnahme auch nur eines einzigen (O)
Gegners müßte unserem Kredite nicht nur im Innern,
sondern auch gegen außen schaden. Was wir brauchen,
um zu bestehen, das ist — darüber sind wir uns klar —
eine unzweideutige, ehrliche und gerade Politik, sie allein
kann uns mit Erfolg durch die Wirrnisse der Zeit hin-
durch führen.
(Bravol links.)
Es ist ja zuzugeben, daß es für die Herren auf der rechten
Seite unangenehm ist, nachdem etliche 40 Jahre sämtliche
Regierungsvertreter, zwar nicht aus ihrer parlamentari-
schen Fraktion, aber doch wenigstens aus den konservativen
Kreisen entnommen worden sind, daß es ihnen da jetzt
schmerzlich sein muß, wenn das aufhört und daß sie kalt-
gestellt und durch andere ersetzt werden, die seither haben
beiseite stehen müssen. Das kann aber nicht maßgebend
sein, und die Konservativen haben vielleicht die Güte zu
bedenken, daß sie, wenn wir von Anfang des Deutschen Reichs
an die Regierungssitze nach einem gerechten Maßstabe auf
die Vertreter der verschiedenen Parteien umgelegt hätten,
sie mindestens in der heutigen Stunde ein halbes oder ein
ganzes Jahrhundert im Vorschuß wären. Von dem müssen
sie jetzt leben. Und sie müssen sich auch, wenn sie uns
angreifen darüber, daß wir sie nicht haben aufnehmen
können in die Regierung, doch darüber klar sein, daß sie
an der eingetretenen Veränderung zum großen Teil selbst
schuld sind, weil sie eine Politik gemacht haben, die der-
jenigen entgegengesetzt ist, die wir heute befolgen.
Nun hat sich's gezeigt, daß andere und neue Kräfte
in die Regierung hereingenommen werden müssen und
hereingenommen werden können, denen sie den Platz
räumen müssen. Es war eben eine falsche Politik, daß
Sie sich dem Rade der Weltgeschichte, das Sie leicht in
gute Bahnen hätten lenken können, zu lang und zu hart-
näckig und ohne weiten Blick entgegengestemmt haben, daß
Sie ihm jede Bewegung so lange versagen sollten, bis (D)
das Nad eben über Sie und Ihre Bestrebungen hinweg-
gegangen ist. Jetzt gehören Sie dahin, wo Site nach
Ihrer gestrigen Erklärung gern stehen wollen, — jetzt gehören
Sie in die Opposition.
(Sehr richtig! links und rechts.)
Vielleicht tun Sic, meine Herren von der konservativen
Partei, in der heutigen Stunde bei dem Ruf, den Sie
sich nun einmal erworben haben, dem Vaterlande sogar
wirklich einen Dienst, wenn Sie in der Opposition sind
und auch darin bleiben. Das gibt klare, durchsichtige,
einfache Verhältnisse.
(Sehr richtig! links.)
In dieser Opposition können Sie, glaube ich, auch
ohne Schaden bleiben: denn Sie haben uns gestern
die Erklärung abgegeben, die wir nicht anders von
Ihnen erwartet haben, daß Ihre Opposition eine
durchaus loyale sein werde.
(Zurufe rechts.)
Sie sind, wie Sie uns gestern erklärt haben, entschlossen,
solidarisch mit den anderen Parteien für die Ver-
teidigung und Rettung des Vaterlandes gegen jede
Vernichtung oder Demütigung auch Ihrerseits das Letzte
daranzugeben.
(Erneute Zurufe rechts.)
Es wird das Land mit Genugtuung — nicht mit Ver-
wunderung, denn man hatte nichts anderes erwartet
— erfüllen, daß Sie das in dieser Weise zum Aus-
druck gebracht haben. Noch mehr wird es urnsere
Brüder und Söhne an der Front draußen mit
Genugtuung erfüllen, die jetzt den so unendlich schweren
Kampf zu tragen haben und denen jede Außerung wohl.
tuen muß, aus der sie sich überzeugen können, daß die
Gesamtheit des deutschen Volkes in diesen ernsten Tagen
ohne Rücksicht auf Parteiangehörigkeit, ohne Rücksicht
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