Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

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(Dr. v. Payer, Stellvertreter des Reichskanzlers.) 
Aber, meine Herren, alle diese Regierungen sind an 
eine Voraussetzung gebunden: sie müssen erfüllt sein von 
einem einheitlichen, klaren, alles überragenden Ziele, 
dem alle anderen Richtungen und Bestrebungen sich als 
verhältnismäßig unbedeutend unterzuordnen haben. Ist 
das nicht der Fall, verfolgen innerhalb einer solchen Re- 
gierung verschiedene Richtungen verschiedene Ziele, dann 
bringt die Regierung nichts fertig, das Fuhrwerk bleibt 
stehen. Es muß stehen bleiben, wenn ein Roß vorwärts 
und das andere Roß nach der umgekehrten Richtung zieht. 
Und, was vielleicht noch schlimmer ist: solche Regierungen 
entbehren jeglichen Vertrauens. 
(Sehr richtig! links.) 
Wir aber in der heutigen Regierung brauchen in diesen 
Tagen das Vertrauen, vor allen Dingen im Innern. 
(Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Ich werfe die Frage auf, hätten wir heute das Vertrauen 
der Bevölkerung im großen und ganzen, wenn wir die 
Regierung durch Aufnahme konservativer Parlamentarier 
in sie verstärkt hätten? Wir wären dann wohl einig in 
einem Punkte, nämlich in der Entschlossenheit, das 
Vaterland mit äußerster Kraft zu verteidigen. 
(Zuruf rechts.) 
— Es handelt sich eben nicht bloß um das. Das möchte 
ich gerade auseinandersetzen. Wir wären aber nicht einig 
über den Inhalt des Friedens, den wir erstreben. Wir 
wären nicht einig über den Weg, auf dem wir zu diesem 
Frieden kommen wollen. Wir wären nicht einig über 
die Geflissentlichkeit, mit der man diesem Frieden ent- 
gegenstrebt, und wären nicht einig, sogar recht uneinig 
über die Reformen, die nach unserer Überzeugung im 
Innern durchgeführt werden müssen, wenn das Vaterland 
bestehen bleiben soll. 
(Bravol links.) 
Woher sollte eine Regierung, in der Sie auf der Rechten 
Ihre Anschauungen naturgemäß vertreten müßten, die 
Kraft nehmen, auch nur zu bestehen, geschweige, sich das 
Vertrauen anderer zu erwerben? Wir aber brauchen das 
Vertrauen in unsere Verhältnisse, nicht bloß im Innern, 
wir brauchen auch das Vertrauen des Auslandes, bis zu 
einem gewissen Grade sogar das Vertrauen unserer Feinde. 
Wir wollen den Frieden haben und wir haben ihn auch 
notwendig. Darüber sind wir einig. Unsere Feinde aber 
mißtrauen unserer ehrlichen Absicht, einen Frieden des 
Rechts zu schließen, sie mißtrauen uns hauptsächlich auf 
Grund mannigfacher Vorkommnisse in der Vergangenheit, 
von denen wir es ihnen nicht verübeln können, wenn sie 
ihnen gewisse Gründe des Zweifels entnehmen. Wir 
können deshalb niemand in der Regierung brauchen, der 
Fut noch mehr für einen Gewalts= als für einen Rechts- 
eden ist. 
(Sehr richtig!) 
Wir brauchen, wenn wir Vertrauen haben sollen, wenn 
wir den Frieden baben wollen, eine klare Scheidun 
zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Man stelle sih 
nur den Gedanken vor Augen, daß der Graf Westarp, 
der gestern die Ausführungen zu der U--Boot-Frage und 
zu unseren innerpolitischen Verhältnissen abgegeben hat, 
parlamentarischer Staatssekretär wäre, entsendet in die 
Regierung von der konservativen Partei. Es wäre un- 
möglich, mit solchen Verschiedenheiten der Auffassung 
überhaupt zu bestehen. 
Weiter mißtrauen unsere Gegner und mit ihnen viel- 
fach das neutrale Ausland auch der Verjüngung unserer 
inneren Zustände, der Demokratisierung der Verfassung, 
der Gesetzgebung und der Verwaltung, wie sie im Gange 
ist. Auch das ist ein Hindernis des Friedens. Es 
müßte ein Schaden für unsere Zukunft entstehen, wenn 
wir diese Hindernisse weiter bestehen ließen. Wir können 
also keine Gegner der Reform in dieser Reform- 
  
Reichstag. — 194. Sitzung. Mittwoch den 2s. Oktober 1918. 
regierung brauchen. Die Aufnahme auch nur eines einzigen (O) 
Gegners müßte unserem Kredite nicht nur im Innern, 
sondern auch gegen außen schaden. Was wir brauchen, 
um zu bestehen, das ist — darüber sind wir uns klar — 
eine unzweideutige, ehrliche und gerade Politik, sie allein 
kann uns mit Erfolg durch die Wirrnisse der Zeit hin- 
durch führen. 
(Bravol links.) 
Es ist ja zuzugeben, daß es für die Herren auf der rechten 
Seite unangenehm ist, nachdem etliche 40 Jahre sämtliche 
Regierungsvertreter, zwar nicht aus ihrer parlamentari- 
schen Fraktion, aber doch wenigstens aus den konservativen 
Kreisen entnommen worden sind, daß es ihnen da jetzt 
schmerzlich sein muß, wenn das aufhört und daß sie kalt- 
gestellt und durch andere ersetzt werden, die seither haben 
beiseite stehen müssen. Das kann aber nicht maßgebend 
sein, und die Konservativen haben vielleicht die Güte zu 
bedenken, daß sie, wenn wir von Anfang des Deutschen Reichs 
an die Regierungssitze nach einem gerechten Maßstabe auf 
die Vertreter der verschiedenen Parteien umgelegt hätten, 
sie mindestens in der heutigen Stunde ein halbes oder ein 
ganzes Jahrhundert im Vorschuß wären. Von dem müssen 
sie jetzt leben. Und sie müssen sich auch, wenn sie uns 
angreifen darüber, daß wir sie nicht haben aufnehmen 
können in die Regierung, doch darüber klar sein, daß sie 
an der eingetretenen Veränderung zum großen Teil selbst 
schuld sind, weil sie eine Politik gemacht haben, die der- 
jenigen entgegengesetzt ist, die wir heute befolgen. 
Nun hat sich's gezeigt, daß andere und neue Kräfte 
in die Regierung hereingenommen werden müssen und 
hereingenommen werden können, denen sie den Platz 
räumen müssen. Es war eben eine falsche Politik, daß 
Sie sich dem Rade der Weltgeschichte, das Sie leicht in 
gute Bahnen hätten lenken können, zu lang und zu hart- 
näckig und ohne weiten Blick entgegengestemmt haben, daß 
  
Sie ihm jede Bewegung so lange versagen sollten, bis (D) 
das Nad eben über Sie und Ihre Bestrebungen hinweg- 
gegangen ist. Jetzt gehören Sie dahin, wo Site nach 
Ihrer gestrigen Erklärung gern stehen wollen, — jetzt gehören 
Sie in die Opposition. 
(Sehr richtig! links und rechts.) 
Vielleicht tun Sic, meine Herren von der konservativen 
Partei, in der heutigen Stunde bei dem Ruf, den Sie 
sich nun einmal erworben haben, dem Vaterlande sogar 
wirklich einen Dienst, wenn Sie in der Opposition sind 
und auch darin bleiben. Das gibt klare, durchsichtige, 
einfache Verhältnisse. 
(Sehr richtig! links.) 
In dieser Opposition können Sie, glaube ich, auch 
ohne Schaden bleiben: denn Sie haben uns gestern 
die Erklärung abgegeben, die wir nicht anders von 
Ihnen erwartet haben, daß Ihre Opposition eine 
durchaus loyale sein werde. 
(Zurufe rechts.) 
Sie sind, wie Sie uns gestern erklärt haben, entschlossen, 
solidarisch mit den anderen Parteien für die Ver- 
teidigung und Rettung des Vaterlandes gegen jede 
Vernichtung oder Demütigung auch Ihrerseits das Letzte 
daranzugeben. 
(Erneute Zurufe rechts.) 
Es wird das Land mit Genugtuung — nicht mit Ver- 
wunderung, denn man hatte nichts anderes erwartet 
— erfüllen, daß Sie das in dieser Weise zum Aus- 
druck gebracht haben. Noch mehr wird es urnsere 
Brüder und Söhne an der Front draußen mit 
Genugtuung erfüllen, die jetzt den so unendlich schweren 
Kampf zu tragen haben und denen jede Außerung wohl. 
tuen muß, aus der sie sich überzeugen können, daß die 
Gesamtheit des deutschen Volkes in diesen ernsten Tagen 
ohne Rücksicht auf Parteiangehörigkeit, ohne Rücksicht 
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