Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

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Reichstag. — 194. Sitzung. Mittwoch den 23. Oktober 1918. 
(Stoychel, Abgeordneter.) 
Das bat der Präsident Wilson anerkannt, 
indem er in seinem Friedensprogramm die Bildung 
eines unabhängigen, aus allen polnischen Landes- 
teilen zusammengesetzten und eine eigene Meeres- 
küste besitzenden Polens aufstellte, als eine der 
Grundlagen einer gerechten, internationalen Welt- 
ordnung. Aus der Tatsache, daß die deutsche 
Regierung das Programm Wilsons ohne Vor- 
behalt als Grundlage der Friedensverhandlungen 
angenommen hatte, muß man folgern, daß sie 
mit den Richtlinien dieses Programms in bezug 
auf die polnische Frage einverstanden ist. 
Hier möchte ich in Parenthese bemerken, daß dieser Passus 
schon durch die Ereignisse überholt ist. 
In der ersten Antwortnote hat die deutsche Regierung 
die Grundsätze nicht nur als „Grundlage der Verhand- 
lungen“, sondern als Grundlage des Friedens selbst an- 
erkannt. 
Die Wichtigkeit dieser Stellungnahme hat mit 
Nachdruck der Vertreter der polnischen Fraktion 
während der historischen Reichstagssitzung vom 
5. Oktober dieses Jahres festgestellt, indem er 
darauf hinwies, die Regierung habe dadurch zum 
ersten Male anerkannt, daß die Bestrebungen des 
polnischen Volkes, die die Vereinigung aller pol- 
nischen Landesteile zu einem unabhängigen Staate 
zur Grundlage haben, vollberechtigt sind. 
In diesem, über unsere Zukunft entscheidenden 
Augenblick bildet das ganze, alle polnischen 
Landesteile bewohnende Volk in allen seinen 
Schichten — von einem gemeinsamen Gedanken 
beseelt — ein großes, einiges und festgefügtes 
nationales Lager. 
Wir, die zu Preußen gehörigen Landesteile be- 
wohnenden Polen stellen dieses Einverständnis 
und diese Einigkelt durch die Unterschrift aller 
unserer leitenden politischen Organisationen, aller 
polnischen Parteien ohne Ausnahme und der 
ganzen Presse als Auslegerin der öffentlichen 
Meinung fest. Indem wir dieses Einver- 
ständnis und diese nationale Einmütigkeit fest- 
stellen, betrachten wir es als unsere Pflicht, 
die Stellungnahme unserer parlamentarischen 
Repräsentation vom 5. Oktober durch einen ge- 
meinsamen Willensakt zu bekräftigen, und erklären 
feierlich, daß wir in dieser großen und verant- 
wortlichen Stunde der Weltgeschichte voll Ver- 
trauen die weitere Leitung der Politik im Sinne der 
berechtigten Interessen der unwandelbaren natio- 
nalen Ideale in die Hände unserer Abgeordneten 
sowohl im Land= als auch im Reichstage legen. 
Die polnische Nation, die in diesem Kriege 
gerh allen kriegführenden Völkern die schwersten 
pfer dargebracht hat, ersehnt einen dauerhaften 
und alle Völker beglückenden Frieden. Die Polen 
bleiben so, wie sie bisher waren, auch in der Zu- 
kunft ihrer glorreichen Uberlieferung treu, die 
seit dem Morgenrot der Geschichte von denselben 
Idealen der Freiheit und der Verbrüderung der 
Völker bestrahlt sind, deren Triumph heute aus 
der Saat der unschätzbaren vergossenen Blut- 
ströme hervorsprießt. 
Unter dem Banne dieser Grundsätze wird das 
vereinigte und unabhängige Polen in den Ver- 
band der freien Völker elntreten, als aufrichtiger 
und unbeugsamer Verfechter der Toleranz nach 
innen und des einträchtigen Zusammenlebens der 
Völker nach außen, gemäß der großen Losung 
unserer Väter: Freie mit den Freien, Gleiche 
mit den Gleichen. 
Reichstag. II. 1914/1918. 194. Sitzung. 
  
  
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Nun folgen die Unterschriften aller polnischen politischen (O 
Organisationen, Parteien und Wahlkomitees sowie aller 
polnischen in Deutschland erscheinenden Zeitungen ohne 
Ausnahme der Parteirichtung. 
Demgegenüber möchte ich doch folgende Verfügung 
vorlesen: 
esen, 1 , Stellvertretendes Generalkommando. 
Vertraulich! 
Erörterungen in der Presse, in Flugblättern 
und Plakaten sowie überhaupt Veröffentlichungen 
jeder Art sind bis auf weiteres verboten, soweit 
sie direkt oder indirekt eine Loslösung preußischer 
Gebietsteile mit polnischer Bevölkerung zugunsten 
eines großpolnischen Reiches zum Gegenstand 
haben. Verboten ist ferner auch jede weitere 
demonstrative Stellungnahme zu den Aufrufen des 
Regentschaftsrats vom 7. Oktober 1918 oder 
etwaige ähnliche Kundgebungen aus den polnischen 
Teilgebieten oder seitens der polnischen Emigration. 
Das gleiche Verbot gilt auch für die Verbreitung 
solcher Schriftstücke. 
Posen, den 11. Oktober 1918. 
Der Stellvertr. Kommandierende General. 
Meine Herren, wenn einmal die Sache in Fluß ist, 
wenn einmal die deutsche Regierung selber den Grund- 
sätzen Wilsons und auch Punkt 13, welcher lautet: 
„Ein unabhängiger polnischer Staat, der alle 
Bänder, die von einer unzweifelhaft polnischen 
Bevölkerung bewohnt sind und der einen gesicherten, 
freien und zuverlässigen Zugang zur See besitzt 
und dessen politische und wirtschaftliche Unab- 
hängigkeit sowie territoriale Unverletzlichkeit durch 
internationalen Vertrag garantiert sein müßte, 
sollte gebildet werden“ 
zugestimmt hat, wenn eine weitere Bedingung Wilsons 
verlangt, daß die Aspirationen der Völker klar dargestellt (D) 
werden sollen, mit welcher Begründung unterdrückt man 
jeden Versuch in der polnischen Presse, die Sache klar zu 
machen, während es die deutsche Presse von ihrem Gesichts- 
punkt aus ungehindert tun kann? 
Meine Herren, aus den allgemein skizzierten Grund- 
sätzen Wilsons, die auch von der deutschen Regierung aus- 
drücklich als Grundlage des Friedens approbiert wurden, 
mit Berücksichtigung der historischen Rechte und ethno- 
graphischen Tatsachen ergibt sich ohne weiteres: 
1. die Bildung eines souveränen, unabhängigen, aus 
allen polnischen Landesteilen vereinigten Staates 
mit voller Entwicklungsmöglichkeit, mit eigener 
Meeresküste nebst Seehafen, dessen politische und 
wirtschaftliche Unabhängigkeit und territoriale 
Unversehrtheit durch internationalen Vertrag 
garantiert werden muß. 
Hierzu verlangen wir: 
2. den Wiederaufbau und die Restitution alles dessen, 
was in der Kriegszeit von den polnischen Landes- 
teilen zerstört oder weggeführt ist, 
3. die Mitwirkung von Vertretern aller polnischen 
Landesteile an der internationalen Friedens- 
konferenz. 
Noch vor Friedensschluß verlangen wir sofortige Frei- 
lassung der Kriegs= und Zivilgefangenen der polnischen 
Landesteile, mit denen ja kein Krieg geführt wurde. 
Schließlich verlangen wir volle Bewegungsfreiheit für 
die vielfachen Hunderttausende polnischer Arbeiter, die 
hier völkerrechtswidrig mit Gewalt zurückgehalten 
werden, deren Lage in bezug auf Beköstigung, 
Entlohnung und Behandlung eine schreckliche ist. 
Krankheit und Tod lichten in erschreckendem Maße ihre 
Reihen. Das brauchen die Arbeitgeber nicht zu be- 
sorgen; denn diese weißen Sklaven sind ja nicht ihr per- 
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