(A)
(8)
Reichstag. — 194. Sitzung. Mittwoch den 23. Oktober 1918.
(Stoychel, Abgeordneter.)
Das bat der Präsident Wilson anerkannt,
indem er in seinem Friedensprogramm die Bildung
eines unabhängigen, aus allen polnischen Landes-
teilen zusammengesetzten und eine eigene Meeres-
küste besitzenden Polens aufstellte, als eine der
Grundlagen einer gerechten, internationalen Welt-
ordnung. Aus der Tatsache, daß die deutsche
Regierung das Programm Wilsons ohne Vor-
behalt als Grundlage der Friedensverhandlungen
angenommen hatte, muß man folgern, daß sie
mit den Richtlinien dieses Programms in bezug
auf die polnische Frage einverstanden ist.
Hier möchte ich in Parenthese bemerken, daß dieser Passus
schon durch die Ereignisse überholt ist.
In der ersten Antwortnote hat die deutsche Regierung
die Grundsätze nicht nur als „Grundlage der Verhand-
lungen“, sondern als Grundlage des Friedens selbst an-
erkannt.
Die Wichtigkeit dieser Stellungnahme hat mit
Nachdruck der Vertreter der polnischen Fraktion
während der historischen Reichstagssitzung vom
5. Oktober dieses Jahres festgestellt, indem er
darauf hinwies, die Regierung habe dadurch zum
ersten Male anerkannt, daß die Bestrebungen des
polnischen Volkes, die die Vereinigung aller pol-
nischen Landesteile zu einem unabhängigen Staate
zur Grundlage haben, vollberechtigt sind.
In diesem, über unsere Zukunft entscheidenden
Augenblick bildet das ganze, alle polnischen
Landesteile bewohnende Volk in allen seinen
Schichten — von einem gemeinsamen Gedanken
beseelt — ein großes, einiges und festgefügtes
nationales Lager.
Wir, die zu Preußen gehörigen Landesteile be-
wohnenden Polen stellen dieses Einverständnis
und diese Einigkelt durch die Unterschrift aller
unserer leitenden politischen Organisationen, aller
polnischen Parteien ohne Ausnahme und der
ganzen Presse als Auslegerin der öffentlichen
Meinung fest. Indem wir dieses Einver-
ständnis und diese nationale Einmütigkeit fest-
stellen, betrachten wir es als unsere Pflicht,
die Stellungnahme unserer parlamentarischen
Repräsentation vom 5. Oktober durch einen ge-
meinsamen Willensakt zu bekräftigen, und erklären
feierlich, daß wir in dieser großen und verant-
wortlichen Stunde der Weltgeschichte voll Ver-
trauen die weitere Leitung der Politik im Sinne der
berechtigten Interessen der unwandelbaren natio-
nalen Ideale in die Hände unserer Abgeordneten
sowohl im Land= als auch im Reichstage legen.
Die polnische Nation, die in diesem Kriege
gerh allen kriegführenden Völkern die schwersten
pfer dargebracht hat, ersehnt einen dauerhaften
und alle Völker beglückenden Frieden. Die Polen
bleiben so, wie sie bisher waren, auch in der Zu-
kunft ihrer glorreichen Uberlieferung treu, die
seit dem Morgenrot der Geschichte von denselben
Idealen der Freiheit und der Verbrüderung der
Völker bestrahlt sind, deren Triumph heute aus
der Saat der unschätzbaren vergossenen Blut-
ströme hervorsprießt.
Unter dem Banne dieser Grundsätze wird das
vereinigte und unabhängige Polen in den Ver-
band der freien Völker elntreten, als aufrichtiger
und unbeugsamer Verfechter der Toleranz nach
innen und des einträchtigen Zusammenlebens der
Völker nach außen, gemäß der großen Losung
unserer Väter: Freie mit den Freien, Gleiche
mit den Gleichen.
Reichstag. II. 1914/1918. 194. Sitzung.
6197
Nun folgen die Unterschriften aller polnischen politischen (O
Organisationen, Parteien und Wahlkomitees sowie aller
polnischen in Deutschland erscheinenden Zeitungen ohne
Ausnahme der Parteirichtung.
Demgegenüber möchte ich doch folgende Verfügung
vorlesen:
esen, 1 , Stellvertretendes Generalkommando.
Vertraulich!
Erörterungen in der Presse, in Flugblättern
und Plakaten sowie überhaupt Veröffentlichungen
jeder Art sind bis auf weiteres verboten, soweit
sie direkt oder indirekt eine Loslösung preußischer
Gebietsteile mit polnischer Bevölkerung zugunsten
eines großpolnischen Reiches zum Gegenstand
haben. Verboten ist ferner auch jede weitere
demonstrative Stellungnahme zu den Aufrufen des
Regentschaftsrats vom 7. Oktober 1918 oder
etwaige ähnliche Kundgebungen aus den polnischen
Teilgebieten oder seitens der polnischen Emigration.
Das gleiche Verbot gilt auch für die Verbreitung
solcher Schriftstücke.
Posen, den 11. Oktober 1918.
Der Stellvertr. Kommandierende General.
Meine Herren, wenn einmal die Sache in Fluß ist,
wenn einmal die deutsche Regierung selber den Grund-
sätzen Wilsons und auch Punkt 13, welcher lautet:
„Ein unabhängiger polnischer Staat, der alle
Bänder, die von einer unzweifelhaft polnischen
Bevölkerung bewohnt sind und der einen gesicherten,
freien und zuverlässigen Zugang zur See besitzt
und dessen politische und wirtschaftliche Unab-
hängigkeit sowie territoriale Unverletzlichkeit durch
internationalen Vertrag garantiert sein müßte,
sollte gebildet werden“
zugestimmt hat, wenn eine weitere Bedingung Wilsons
verlangt, daß die Aspirationen der Völker klar dargestellt (D)
werden sollen, mit welcher Begründung unterdrückt man
jeden Versuch in der polnischen Presse, die Sache klar zu
machen, während es die deutsche Presse von ihrem Gesichts-
punkt aus ungehindert tun kann?
Meine Herren, aus den allgemein skizzierten Grund-
sätzen Wilsons, die auch von der deutschen Regierung aus-
drücklich als Grundlage des Friedens approbiert wurden,
mit Berücksichtigung der historischen Rechte und ethno-
graphischen Tatsachen ergibt sich ohne weiteres:
1. die Bildung eines souveränen, unabhängigen, aus
allen polnischen Landesteilen vereinigten Staates
mit voller Entwicklungsmöglichkeit, mit eigener
Meeresküste nebst Seehafen, dessen politische und
wirtschaftliche Unabhängigkeit und territoriale
Unversehrtheit durch internationalen Vertrag
garantiert werden muß.
Hierzu verlangen wir:
2. den Wiederaufbau und die Restitution alles dessen,
was in der Kriegszeit von den polnischen Landes-
teilen zerstört oder weggeführt ist,
3. die Mitwirkung von Vertretern aller polnischen
Landesteile an der internationalen Friedens-
konferenz.
Noch vor Friedensschluß verlangen wir sofortige Frei-
lassung der Kriegs= und Zivilgefangenen der polnischen
Landesteile, mit denen ja kein Krieg geführt wurde.
Schließlich verlangen wir volle Bewegungsfreiheit für
die vielfachen Hunderttausende polnischer Arbeiter, die
hier völkerrechtswidrig mit Gewalt zurückgehalten
werden, deren Lage in bezug auf Beköstigung,
Entlohnung und Behandlung eine schreckliche ist.
Krankheit und Tod lichten in erschreckendem Maße ihre
Reihen. Das brauchen die Arbeitgeber nicht zu be-
sorgen; denn diese weißen Sklaven sind ja nicht ihr per-
853