Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

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Reichstag. — 195. Sitzung. Donnerstag den 24. Oktober 1918. 
  
(Ledebour, Abgeordneter.) 
(A) werden. Sollten Sie aber nicht auf diesen Vorschlag ein- 
(: 
—. 
gehen, meine Herren, dann würden Sie sich dem Vorwurf 
aussetzen, den Sie mit Recht bei anderen Gelegenheiten 
auf sich gezogen haben, daß Sie auch jetzt noch fortdauernd 
Nutznießer des Belagerungszustandes sein wollen. 
(Heiterkeit rechts.) 
Und damit komme ich auf einige Angriffe, die Herr 
Abgeordneter Noske hier gegen uns geschleudert hat. 
(Zuruf.) 
Herr Abgeordneter Noske hat in heftiger Weise gegen 
uns polemisiert, indem er eine Anzahl Sachen wieder 
vorbrachte, die nun schon wirklich mehrere Male Gegen- 
stand der Verhandlungen dieses Hauses gewesen sind, ab- 
gesehen davon, daß wir außerhalb dieses Hauses in 
Zeitungsartikeln und sonstigen Kundgebungen uns darüber 
ausgesprochen haben. Herr Noske hat uns also zum 
Vorwurf gemacht, daß wir gegen die Kriegskredite ge- 
stimmt haben, und uns zu diskreditieren versucht, indem 
er sagte: wir hätten im Anfang alle für die Kriegskredite 
gestimmt. Demgegenüber muß ich zum Verständnis der 
Dinge nun nochmals wiederholen, was, wie ich eigentlich 
meinen sollte, selbst Herrn Noske und seinen Freunden 
bekannt ist. 
(Zuruf von den Sozialdemokraten.) 
— Jawohl haben Sie einen Vorwurf gegen uns erhoben, 
indem Sie sagten, wir hätten anfangs alle für die Kriegs- 
kredite gestimmt, deshalb könnten wir es Ihnen nicht zum 
Vorwurf machen, daß Sie fortdauernd für die Kriegskredite 
stimmen. Meine Herren, als bei Kriegsbeginn die Frage 
an uns herantrat, ob wir für die Kriegskredite stimmen 
sollten oder nicht, haben wir in der Reichstagsfraktion 
einen Antrag eingebracht, der sich in der schärfsten Weise 
gegen den Krieg und für die Ablehnung der Kriegs- 
kredite aussprach. Dieser Antrag, den ich selbst entworfen 
und begründet habe, wurde abgelehnt. Es haben im 
ganzen nur 14 Abgeordnete dafür gestimmt, darunter auch 
mein Freund Haase, den Herr Abgeordneter Noske noch 
besonders hier angegriffen hat. Wir waren nun vor die 
Frage gestellt, ob wir dem von der Mehrheit beschlossenen 
Antrage uns unterwerfen oder ob wir damals sofort die 
Partei sprengen sollten. Da haben wir damals gesagt: 
in dieser Situation können wir die Verantwortung für 
die Sprengung der Partei nicht übernehmen. Und deshalb 
haben die 14 insgesamt für die Kriegskredite gestimmt, 
mit Ausnahme übrigens des Abgeordneten Kunert, der 
aus dem Hause herausgegangen ist; das war uns indes 
damals noch nicht bekannt. " 
Ja, meine Herren, aus dieser Abstimmung können 
uns diejenigen einen Vorwurf machen, die auf dem Stand- 
punkt stehen, wir hätten auch damals schon unter allen 
Umständen, komme was kommen mag, hier im Reichstag 
unserer Uberzeugung nach gegen die Kriegskredite stimmen 
müssen. Die Leute, die auf diesem Standpunkt stehen, 
sind zu dem Vorwurf berechtigt. Aber diejenigen, die es 
ihrer Uberzeugung nach für eine unbedingte Parteipflicht 
erklärt haben und noch erklären, daß man sich der Majo- 
rität fügen müsse, haben nicht das Recht, diese Abstimmung 
gegen uns auszulegen. 
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Es ist eine Perfidie sondergleichen, wenn irgendein Mit- 
glied der sozialdemokratischen Partei hier auftritt und uns 
deshalb Vorwürfe macht. 
(Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten. 
mögliche Motive unterschoben. 
(Erneuter Zuruf von den Sozialdemokraten.) 
— Ich weiß nicht, wen Sie gemeint haben, weise aber 
auch diesen Vorwurf zurück. Mir ist es nicht bekannt, daß 
ein solcher Ausdruck gefallen ist von einem derjenigen 
Zuruf.) 
Herr Noske hat dann obendrein uns noch ganz 
  
Parteigenossen, die jetzt zu unserer Partei gehören. Sollte er (C) 
gefallen sein, was ich jetzt nicht nachprüfen kann, so wäre 
das jedenfalls eine Auffassung, die ich absolut verwerfe. 
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Aber nachträglich einem unserer Parteigenossen, die da- 
mals Ihre eigene Auffassung vertreten haben, hier einen 
Vorwurf zu machen, sind Sie nicht berechtigt, da diese 
Genossen nachträglich zu der Uberzeugung gekommen sind, 
daß sie damals, als sie auf Ihrer Seite standen, einen 
verkehrten Schritt getan haben. 
Also ich hoffe nun, daß menigstens mit den Ver- 
suchen, mit dieser Abstimmungsgeschichte hier noch im 
Reichstag zu krebsen, ein für allemal Schluß gemacht 
wird. Ihr Auftreten beweist nur, daß Sie wirklich nicht 
mehr in der Lage sind, Ihre fortgesetzte Abstimmung zu- 
gunsten der Kriegskredite vor dem Hause zu rechtfertigen. 
Und Sie können das um so weniger, da sich mehr und 
mehr herausstellt, daß die Politik, die die Reichsregierung 
eingeschlagen hat, direkt zum Verderb des Deutschen 
Reichs ausgeschlagen ist. Und an dieser Politik tragen 
Sie durch Ihre Unterstützung der Regierung in vollem 
Maße die Mitschuld. 
Wenn endlich mit dem bisherigen Regierungssystem 
ein Ende gemacht werden soll, dann darf man sich auch 
nicht damit begnügen, einzelne Generale, einzelne höhere 
Beamte zu ersetzen. Es ist notwendig, daß auch in allen 
Ländern Deutschlands eine vollkommene Umänderung des 
ganzen Verwaltungssystems durchgeführt wird. Alle an- 
gestellten Beamten müssen beseitigt werden, 
(sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten) 
alle Verwaltungsbeamten. Zu ersetzen sind sie durch Selbst- 
verwaltungsbeamte, die zu berufen sind von den aus all- 
gemeinen, gleichen und direkten Wahlen hervorgegangenen 
örtlichen und provinziellen Vertretungen. Keine ernannten 
Landräte, keine ernannten Oberpräsidenten, keine ernannten 
Regierungspräsidenten, keine Ernennung irgendwelcher Art (d) 
zu irgendeinem Verwaltungsposten, sondern nur demo- 
kratische Wahlen. — Herr Meier schüttelt verwundert 
den Kopf. Ja, wenn Sie jetzt wirklich sich in Deutsch- 
land zu freien Zuständen durcharbeiten wollen, dann ist 
die Demokratisierung des Verwaltungswesens noch viel 
notwendiger als die sogenannte parlamentarische Regierung. 
Dann müssen Sie auch auf dem Gebiete die republi- 
kanischen Einrichtungen in allen Instanzen durchführen, 
wie das in der Schweiz, in den Vereinigten Staaten von 
Amerika und in anderen wirklich vorgeschrittenen Republiken 
der Fall ist. Wenn Sie zwar ein sogenanntes parla- 
mentarisches Ministerium einrichten, aber die preußische 
Verwaltung mit ihrer Polizei und ihren anderen Ein- 
richtungen bestehen bleibt, wie sie ist, dann werden Sie 
niemals eine ernstliche Besserung erzielen. 
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Dann können Sie gewärtig sein, daß bei der ersten 
günstigen Konjunktur die militaristischen Machthaber und 
die Bureaukraten plötzlich die Herreu dort auf der Minister- 
bank entlassen werden und dann irgend ein General Keim 
oder eine sonstige alldeutsche Kapazität mit der Führung 
der Geschäfte beauftragt wird. Dann werden die Beamten, 
die sich vorläufig vielleicht geduckt haben, die Herren 
Landräte usw. mit Freuden wieder in dem alten konser- 
vativen Sinne die Geschäfte weiterführen. 
Aber auch damit ist es noch nicht genug. Es ist 
absolut notwendig, daß auch an der Spitze der Staaten 
ganz andere Personen nicht nur, sondern auch ganz andere 
Einrichtungen eingesetzt werden. Das monarchische 
System, in dem das bureaukratisch-militaristische Regierungs- 
1 gipfelt, hat vollkommen abgewirtschaftet. 
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Gerade in den Trägern des monarchischen Systems ist 
diese Abwirtschaftung sinnbildlich zu Tage getreten. Es
	        
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