Reichstag. — 195. Sitzung. Donnerstag den 24. Oktober 1918.
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(Ledebour, Abgeordneter.)
(A) wäre auch einer der Schritte gewesen, mit dem die gegen-
wärtige Regierung sich das Vertrauen aller derjenigen
Personen im Inland und im Ausland hätte erwerben
können, auf die sie rechnete, wenn sie dafür gesorgt hätte,
daß der gegenwärtige Kronenträger in Preußen seinen
unheilvollen Einfluß nicht mehr weiter ausüben könnte.
(Zustimmung und Belfall bei den Unabhängigen
Sozialdemokraten. — Unruhe rechts.)
An dem militärisch-imperialistischen System, unter dem
wir leiden, trägt allerdings in letzter Linie der Kapitalis-
mus die Schuld. Es haben dazu auch alle kapitalistischen
Interessenkliguen in Deutschland beigetragen, und ein gut
Teil der Mitschuld tragen die bürgerlichen Parteien dieses
Hauses, die dieses ganze System samt und sonders fort-
gesetzt gehalten haben, wie während der Kriegszeit der
jetzt die Geschäfte führende Mittelblock. Sofern man
aber einzelne Personen ins Auge faßt, die da auf Grund
dieses Systems einen unheilvollen Einfluß ausgeübt haben,
dann steht Kaiser Wilhelm II. an der Spitze.
(Glocke des Präsidenten.)
Vizepräsident Dove: Herr Abgeordneter Ledebour,
Sie haben wiederholt den Ausdruck „unheilvollen Einfluß“
gebraucht, und zwar in Verbindung mit der Person des
Monarchen. Wegen dieses Verstoßes gegen die parla-
mentarische Ordnung und dieses ungehörigen Ausdrucks
rufe ich Sie zur Ordnung!
(Lachen und Zurufe bei den Unabhängigen Sozial-
demokraten.)
Ledebour, Abgeordneter: Ich werde mich darauf
beschränken, Tatsachen ohne Kommentar sprechen zu lassen.
Kurz nach Beginn seiner Regierung hat Kaiser Wilhelm II.
an Rekruten eine Ansprache gerichtet, in welcher er sie
aufforderte, auf Vater und Mutter zu schießen, wenn es
kommandiert würde.
Als Träger des imperialistischen Systems hat Kaiser
Wilhelm I1I. fortgesetzt in der Welt herumtelegraphiert.
Ich will nur eins zitieren. Er hat an den ehemaligen
Kaiser Nikolaus von Rußland ein Telegramm gerichtet
dem Sinne nach: Der Admiral des Atlantischen Ozeans
grüßt den Admiral des Stillen Ozeans.
(Lachen bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Sie meinen vielleicht, das sei nur geschmacklos; ach nein,
das war in jener Situation eine direkte Aufpeitschung
Englands zur Feindschaft gegen Deutschland.
(Sehr richtigl bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Es lassen sich ja diese Aussprüche vervielfältigen. Er hat
andererseits auch wieder in dem bekannten „Daily Tele-
graph“-Interbdiew Aussprüche getan, die selbst bei den
bürgerlichen Parteien dieses Hauses einen Sturm der
Entrüstung hervorriefen. Schon damals habe ich namens
unserer Fraktion die Anträge vertreten, die jetzt auch von
Ihnen eingebracht und unterstützt werden, mit denen Sie
verspätet einigermaßen ein besseres Regiment in Deutsch-
land durchführen wollen.
Aus der allerletzten Zeit ist hier aber noch etwas
in die Offentlichkeit gekommen, was, glaube ich, Ihnen
allen noch nicht vollständig bekannt ist. In Rußland hat
man die Korrespondenz Kaiser Nikolaus II, die er mit
seinem Freund und Bruder Kaiser Wilhelm II. geführt
hat, veröffentlicht. Darunter befindet sich ein Brief, den
Wilhelm 11. im Jahre 1895 an den russischen Zaren ge-
schrieben hat. Der lautet:
Mein Reichstag zeigt eine verflucht üble Führung,
indem er zwischen den Sozialdemokraten, die von den
Juden unterstützt werden, und den ultramontanen
Katholiken hin= und herschwankt. Meiner Ansicht
nach müssen beide Parteien einzeln gehängt werden.
(Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.
— Lachen rechts.)
Wäre dieser Wunsch Kaiser Wilhelms II. damals in Er= (O
füllung gegangen, so wäre von den anwesenden Herren
z. B. der Herr Staatssekretär Gröber nicht in die Lage
gekommen, sich von Wilhelm II. ein Portefeuille in die
Hand drücken zu lassen.
(Zurufe. — Heiterkeit.)
— Das ist allerdings ein formeller Unterschied; das
Verhältnis zu dem Herrn, der ihm den Strick um den
Hals legen wollte, ist aber genau dasselbe. Nach meiner
Ansicht dürfte die gegenwärtige Regierung nicht bloß
dieses Briefes, sondern der gesamten Kundgebungen
wegen, die von dem Herrn aus seiner Regierungszeit be-
kannt sind, nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten. Aber
mit der Kronniederlegung Wilhelms II. wäre wenig ge-
beslen. Ich will auf seine Nachkommenschaft nicht weiter
eingehen.
(Heiterkeit bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Ich meine, man muß sich nicht mit einzelnen Personen
aufhalten,
(sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)
sondern es muß einfach das ganze monarchische System
ein für allemal beseitigt werden.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Und wenn die gegenwärtigen Dynastien in Deutschland
noch einmal etwas tun wollen, was ihnen Ansehen und
Achtung verschaffen könnte, dann würde ich ihnen raten,
daß sie soviel Patriotismus aufbringen wie die Mandschu-
dynastie in China und freiwillig auf alle ihre Rechte ver-
zichten.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Dadurch würden sie in dieser Situation wirklich Deutsch-
land einen großen Dienst leisten,
(sehr richtigl bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)
einen größeren Dienst, als irgend eine andere Einzel-
person oder Einzelfamilie im gegenwärtigen Zeitpunkt
Deutschland leisten könnte. Wenn ich diesen Rat gebe,
meine Herren, so bin ich allerdings nicht der Ansicht, daß
er befolgt werden wird. Aber ich bin des Glaubens,
daß schließlich das, was wir in dieser Beziehung ver-
langen, dennoch in Deutschland durchgeführt werden wird,
(sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)
wie es sich ja nachweisen läßt, daß alle die Schritte, die
Sie hier tun, nur schwächliche Versuche sind, die For-
derungen zu erfüllen, die wir seit Jahrzehnten, jahraus,
jahrein, hier im Reichstage und in der Offentlichkeit
vertreten haben. Wenn Sie jetzt an die Parlamentarisierung
herangehen, meine Herren, so führen Sie zagend und
zögernd nur das aus, was die Sozialdemokratie als ein
Übergangsstadium für die Durchführung der Republik
schon seit Jahrzehnten verlangt.
Meine Herren, der Herr Vizekanzler v. Payer hat
heute auf den Notenwechsel Bezug genommen. Er hat
gegenüber Bemängelungen des Verhaltens der Reichs-
regierung bei der Abfassung der Antwortnote an den
Präsidenten Wilson Bemerkungen fallen lassen, die ich
nicht unwidersprochen hingehen lassen kann, da sie geeignet
sind, ein ganz falsches Bild von der Beteiligung der
Reichstagsabgeordneten an dieser Note hervorzurufen.
Herr v. Payer stellt die Vorgänge vor der definitiven
Fertigstellung der Note so dar, als ob die Vertreter der
Parteien, nachdem sie darauf aufmerksam gemacht worden
wären, daß noch zwei Lücken in der Note vorhanden
wären, ihre Ratschläge gegeben hätten, und daß man —
merken Sie auf, meine Herren, — diese Ratschläge auch
berücksichtigt habe. Es mag sich das auf Ratschläge be-
ziehen, die Graf Westarp oder einer der anderen Herren
gegeben hat. Da aber an dieser Beratung auch zwei
Vertreter unserer Partei, mein Freund Haase und ich,
teilgenommen haben, so habe ich für uns zu erklären, daß
wir erstens gar nicht aufgefordert waren, an der Vorbe-
(O)