82. II. Die innern Staatsverhältnisse und die Konstitution von 1808. 13
neuer Gebietstheile mit dem bayerischen Staate die Aufgabe, diese durch Herstellung mög-
lichst übereinstimmender Einrichtungen mit jenem zu verschmelzen, hinzugefügt. Bei
alledem aber wurde als das oberste Princip möglichste Stärke der Regierungsgewalt
festgehalten.
Alle diese politischen Bestrebungen fanden einen bestimmten Ausdruck in dem wichtigsten
Gesegebungswerk dieser Periode, der Konstitution für das Königreich Baiern. Nachdem
schon im Jahre 1807 die Aufhebung der Stenerfreiheiten ausgesprochen und den altbayerischen
Landständen das Recht der Stenererhebung abgesprochen worden war!), erfolgte durch Verordnung
vom 1. Mai 1808 (R. B. S. 961 ff.) die Auflösung der nunmehr in den vereinigten Gebieten
noch bestehenden landschaftlichen Korporationen, und am gleichen Tage die Erlassung der
Konstitution (N. B. S. 985 ff.). In sechs kurzen Titeln enthält diese Verfassung außer den
Bestimmungen über die allgemeinen Verfassungsverhältnisse und die Rechte und Pflichten der
Unterthanen und den Anordnungen über die Rechtsverhältnisse des königlichen Hauses die grund-
legenden Bestimmungen für die Verwaltungsorganisation und einen besonderen Abschnitt: Von
der Nationalrepräsentation.
(Als Anhang zu der Konstitution erscheint das Königl. bayerische Familiengesetz vom
28. Juli 1808 [R. B. 1810, S. 777 ff.], welches die Grundlage des Familiengesebes vom
18. Jannar 1816 und des jetzt geltenden Königlichen Familienstatuts vom 5. Aug. 1819 geworden
ist, allerdings nicht ohne wesentliche Veränderungen seines Inhaltes zu erfahren, während es seiner-
seits zum Theile frühere wittelsbachische Hausgesetze und Familienverträge, großentheils aber das
Hausgesetz Napoleon's vom 31. März 1806 und Tit. IV. des organischen Senatusconsults vom
8. Mai 1804 zur Grundlage hat).
Die Einwirkung der bisherigen Gesetzgebung Maximilian Joseph's war selbstverständlich),
unverkennbar aber ist vor Allem das Vorbild der ihrerseits von den französisch-napoleonischen
Verfassungsgesetzen beeinflußten Konstitution für das Königreich Westphalen vom 15. November
1807, namentlich in den Bestimmungen über die Nationalrepräsentation, welche an die Stelle der
aufgelösten landständischen Korporationen treten sollte. Die Mitglieder dieser Nationalrepräsentation
sollten, je sieben in jedem der damaligen 15 Kreise des Landes, aus den 200 Landeigenthümern,
Kaufleuten oder Fabrikanten, welche die höchste Grundsteuer bezahlen, von den vom Könige aus den
400 die höchste Grundsteuer entrichtenden Landeigenthümern, Kaufleuten oder Fabrikanten des
Kreises nach dem Verhältnisse von 1 zu 1000 Einwohnern auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern der
allgemeinen Kreisversammlung als Wahlmännern gewählt werden. Die Nationalrepräsentanten
sollten vier Kommissionen von je 3, höchstens 4 Mitgliedern wählen: für die Finanzen, die
bürgerliche und peinliche Gesehgebung, die innere Verwaltung und die Tilgung der Staatsschulden,
welche, so oft die Regierung es von ihnen verlangte, sich versammeln und mit den einschlägigen
Sektionen des Geheimen Rathes über die Entwürfe der Gesetze und Hauptreglements wie über
den jährlichen Finanzetat korrespondieren sollten. Die so vorbereiteten Vorlagen sollten durch
zwei höchstens drei Mitglieder des Geheimen Rathes an die jährlich mindestens einmal zu berufende
Nationalrepräsentation gebracht werden, die nach absoluter Stimmenmehrheit im Wege des geheimen
Skrutiniums über sie abzustimmen hatte, ohne daß Jemand außer den königlichen Kommissären
aus dem Geheimen Rathe und den Gliedern der betreffenden Kommission der Repräsentation das
Wort zu führen befugt gewesen wäre.
Dieses Schattenbild einer Volksvertretung ist allerdings niemals in's Leben getreten, es ist
aber irrig dies, wie noch neuerdings mehrfach geschehen ist?), von der ganzen Konstitution von 1808
zu behaupten, vielmehr wurde eine nicht geringe Anzahl von Edikten und allgemeinen Verordnungen
zur weiteren Ausführung und Durchführung von Vorschriften der Konstitution erlassen und eine
Vergleichung der Verfassung von 1818 und ihrer Beilagen mit der Konstitution von 1808 und den
zu ihrer Ausführung ergangenen weiteren Anordnungen zeigt, wie viel von den damaligen Fest-
setzungen in den späteren Rechtszustand übergegangen ist. So bildet die Konstitution von
1808 immerhin ein wesentliches Entwicklungsmoment des bayerischen Staatsrechts.
Von den auf die Rechtsgleichheit der Staatsangehörigen bezüglichen Bestimmungen der
Verfassung von 1808 ist die wichtigste wohl die in Tit. I. § 3: Die Leibeigenschaft wird da, wo
1) V. O. vom 8. Juni 1807 die Gleichheit der Abgaben. Steuerrellifkkationen und Auf-
hebung der öbesonderen“ landschaftlichen Steuerkassen betr. (K. B 9 ff.).
2) Vgl. hierüber v. Sicherer, Staat und Kirche in en - 184 ff.
r e 2 Vgl. die Lehrbücher des deutschen Staatsrechts von G. Meyer S. 70 und H. Schulze