87. Die Unterthanen. 41
aus bestimmter Veranlassung und in gewisser Hinsicht in einem Unterwerfungsverhält-
nisse stehen. Indem Art. 3 der Reichsverfassung den Angehörigen jedes Bundesstaates
in jedem anderen Bundesstaate als Inländer zu behandeln gebietet und diese Vorschrift
dann auf eine Reihe von rechtlichen Beziehungen anwendet, ergibt sich an und für sich
schon die Unmöglichkeit der ferneren Giltigkeit der meisten Bestimmungen des früheren
bayerischen Rechts über die Verhältnisse der Fremden (Ausländer, auswärtigen
Unterthanen), wie die ältere bayerische Rechtssprache Alle bezeichnete, die nicht bayerische
Staatsangehörige waren, für die der bayerischen Staatsgewalt in bestimmter Beziehung
unterworfenen Angehörigen des Deutschen Reiches. Indem ferner die in diesem Artikel
der Reichsverfassung angeführten Verhältnisse, hinsichtlich deren den Einzelstaatsgewalten
die gleichmäßige Behandlung aller Reichsangehörigen geboten ist, zum großen Theile durch
die Reichsgesetzgebung eingehend geregelt sind, ergibt sich weiter, daß die Beziehungen der
Bayern nicht angehörigen Deutschen zur bayerischen Staatsgewalt vorwiegend, wenn auch
keineswegs ausschließlich, nach Reichsrecht zu beurtheilen sind, während für die nicht
deutschen Staaten Angehörigen in ihren Verhältnissen zum Staate Bayern, zumeist,
wenn auch keineswegs ausnahmslos 1) das bayerische Recht maßgebend geblieben ist.
Die Grenzen aber, welche der Wirkung des für ganz Deutschland gemeinsamen
Indigenates durch die Vorschrift des Art. 3 Abs. 3 der Reichsverfassung gezogen sind,
inhaltlich deren die Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Auf-
nahme in den lokalen Gemeindeverband betreffen, durch den im ersten Absatze
des Art. 3 ausgesprochenen Grundsatz der rechtlichen Gleichstellung aller deutschen Staats-
angehörigen in jedem Einzelstaate nicht berührt werden, haben für Bayern im Ver-
hältnisse zum übrigen Reichsgebiete ihre volle Wirksamkeit behalten, da im Zusammen-
hange mit der (auf Grund des Versailler Vertrages vom 23. November 1870 Ziff. 3.
#§* 1 u. Art. 4 Ziff. 1 der Reichsverfassung ausgesprochenen) Ausschließung der Gesetz-
gebungskompetenz des Reiches in Bezug auf die Heimaths= und Niederlassungsverhält-
nisse Bayern gegenüber, das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870
in Bayern nicht zur Einführung kam (s. oben S. 29). Andererseits ist, mit Rücksicht
auf diese Beschränkung der Reichskompetenz, für Bayern im Verhältnisse zum übrigen
Reichsgebiete die fortdauernde Geltung des Gothaer Vertrages vom 15. Juli 1851
wegen gegenfeitiger Uebernahme der Ausgewiesenen und Heimathlosen (mit den Schluß-
protokollen vom 15. Juli 1851, 25. Juli 1854 und 29. Juli 1858, R. B. 1851
S. 1396 ff., Döllinger, B. 26 S. 392 ff.) und der Eisenacher Konvention
vom 11. Juli 1853 wegen Verpflegung erkrankter und Beerdigung verstorbener Unter-
thanen (R. B. 1854 S. 120 ff.) im Schlußprotokolle zum Verseiller Ver-
trage vom 23. November 1870 Ziff. 3. ausdrücklich bestimmt worden, während Art. 3
Abs. 4 der Reichsverfassung, welche diese Verträge allgemein „bis auf Weiteres“ in
Kraft erhielt, durch das erwähnte Gesetz über den Unterstützungswohnsitz in dessen
Geltungsgebiete seine Anwendbarkeit verloren hat ?.
1) Namentlich kommen die auf Ausländer bezüglichen Bestimmungen des Reichs-Straf-Gesetz-
Buches und der Reichsprozeßordnungen, dann auch Staatsverträge des Reiches in Betracht, sofern
die letzteren Festsetzungen über die Rechtsverhältnisse von Ausländern, insbesondere von Konsuln
auswärtiger Staaten, im Reichsgebiete enthalten.
2) Ebenso ist der (sonst durch das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz § 1 aufgehobene) § 7
des Freizügigkeitsgesetzes vom 1. November 1867, welcher den Gothaer Vertrag mit seinen An-
hängen ebenfalls in Bezug nimmt und eine Veränderung in seinem Inhalte trifft, für das Ver-
hältniß Bayerns zum übrigen Reichsgebiete in Kraft geblieben. Vgl. auch Haenel, die vertrags-
mäßigen Elemente der Deutschen Reichsverfassung S. 108 ff., Riedel, die Reichsverfassungs-Urkunde
S. 88 ff., 236 ff., Seydel in Hirth's Annalen des Deutschen Reiches 1876 S. 158 ff., 1877
S. 557 ff., und Müller in der 8. Aufl. von Riedel's Commentar zum Heimathsgesetze, Nörd-
lingen 1881 S. 139 ff.