8 31 Die staatsrechtliche Stellung der Minister. 105
Die formelle Vertretung der zweiten Kammer im weiteren Verfahren erfolgt
durch drei von ihr gewählte Kommissäre 1).
Das Richteramt über die erhobene Anklage übt ein besonderer Staats-
gerichtshof aus, der aus der ersten Kammer unter Zuzug des Präsidenten des
Oberlandesgerichtes und acht weiterer durch das Los bezeichneter Mitglieder der Kol.
legialgerichte des Landes gebildet wird.
Das Verfahren, nach dem dieser Staatsgerichtshof sich im Einzelfalle zusammensetzt,
ist durch die §# 7—15 des Ges. v. 11. Dez. 1869 des näheren geregelt. Bei der Ver-
handlung und Entscheidung über die Anklage müssen mindestens zwölf Mitglieder der
ersten Kammer unnnterbrochen anwesend sein.
Für das Verfahren vor dem Staatsgerichtshofe finden vor-
behaltlich besonderer Einzelbestimmungen, welche vor allem auch eine Verhandlung
in Abwesenheit der Angeklagten zulassen, die Vorschriften der Gerichtsverfassung
und Strafprozeßordnung über die Hauptverhandlung Anwendung2).
Das Urteil kann nur auf Freisprechung oder auf Entlassung aus dem Staats-
dienste lauten, nicht etwa auf Strafversetzung oder Zuruhesetzung.
Die ausgesprochene Entlassung bewirkt dauernde Unfähigkeit zur Wiederverwendung
im Staatedienste, und diese Folge kann nur auf Antrag odec mit Zustimmung der Stände
wieder aufgehoben werden 3). Das im § 15 Verf. Urk. dem Landesherrn eingeräumte
Begnadigungsrecht greift also einer solchen Verurteilung gegenüber nicht Platz. Eben-
sowenig findet gegen das Urteil irgend ein Rechtsmittel statt 7.
Um Störungen des Verfahrens, die durch Vertagung, Schließung oder Auflösung
des Landtages entstehen oder absichtlich herbeigeführt werden könnten, zu verhüten,
ist vorgesehen, daß die Tätigkeit des konstituierten Staatsgerichtshofs durch eine solche
Maßnahme an und für sich nicht berührt wird. Nur für den Fall, daß nach erfolgter
Auflösung des Landtages der Staatsgerichtshof zur Zeit der Einberufung der neuen
Ständeversammlung das Urteil noch nicht gesprochen hat, werden dieser Gerichtshof
von neuem gebildet und die Kommissäre der zweiten Kammer von neuem gewählt.
Erfolgt dann eine abermalige Auflösung, so behalten diese Kommissäre ihre Vollmacht
bei, ebenso verbleibt dann der Staatsgerichtshof in seinem früheren Bestand 5).
Die Erhebung der Ministeranklage bezweckt lediglich die Geltendmachung der den
Ministern obliegenden besonderen staatsrechtlichen Verantwortung; die Durchführung
etwaiger Entschädigungsansprüche bleibt dem bürgerlichen Prozeßverfahren vorbe-
halten, ebenso wie die Haftbarmachung der Minister für Verstöße gegen die Strafge-
setze durch die Anstrengung der Ministeranklage nicht berührt wird *). In letzterer Hin-
sicht hatte die Verf. Urk. der zweiten Kammer die Befugnis eingeräumt, von dem
Staatsgerichtshofe eine Verweisung des Angeschuldigten an das zuständige ordentliche
1) Ges. v. 11. Dez. 1869 § 6.
2) Vgl. bad. EG. zu den RJIGesetzen vom 30. März 1879 5+ 7. (G.u. VOnl. Nr. 10 S. 92.)
3) Verf. Urk. 5J 67 a Abs. 4 u. 5.
4) Ges. v. 11. Dez. 1869 K5 23.
5) Verf. Urk. ## 67 d, e.
6) Verf. Urk. § 67 a Abs. 6. Vgl. auch die Begründung des Ges. Entw. über das Verfahren
bei M. Ankl. wo ausdrückl. darauf hingewiesen wird, daß es sich hier nicht um einen Kriminalprozeß
handle. Die einschlagenden Gesetzesvorschriften sind deshalb durch die Einf. der St PrO. grund-
sätzlich nicht berührt worden.