E Geschichtliches. 178
des eigenen Lebens der Gemeinden unmöglich gemacht und zu einer solchen Zerrüttung
der Gemeindeverhältnisse geführt, daß in kurzer Zeit, zumal nachdem auch die Last
der auf den Gemeinden ruhenden Kriegsschulden sich immer mehr fühlbar gemacht
hatte, eine durchgreifende Reform der gesamten Gemeindeorganisation zu einem
unabweislichen Bedürfnisse wurde 1).
Obwohl die Regierung diesem Bedürfnisse, das nach Einführung der Verfassung
vom 22. August 1818 mit besonderer Stärke hervortrat, bereits durch einen sofort dem
ersten Landtage vorgelegten Gesetzesentwurf gerecht zu werden versuchte, gelang es
erst nach schweren Kämpfen, nachdem inzwischen durch das provisorische Ges. v. 23.
August 1821), welches für alle Gemeinden Bürgerausschüsse einführte, eine gewisse
Abschlagszahlung bewilligt worden, auf dem Landtage des Jahres 1831 ein allen be-
teiligten Faktoren genehmes Resultat zu erreichen, wie solches in den beiden oben
genannten Gesetzen vom 31. Dezember 1831 niedergelegt wurde.
2. Die neue Gemeindeordnung, für deren Ausgestaltung nicht so sehr die Preu-
ßhische Städte-Ordnung wie die Gesetzgebung Württembergs vorbildlich gewesen, brachte
den Gemeinden einmal die Anerkennung eines grundsätzlich unbeschränkten Selbst-
verwaltungsrechtes, indem sie an die Stelle der früheren Staatsvormundschaft eine
bloße Staatsaufsicht setzte. Sodann gelangte in derselben in weitgehendem Umfange
der Grundsatz der Gleichberechtigung zur Durchführung. Der noch bestehende Unter-
schied zwischen Stadt= und Landgemeinden wurde, wenn er auch im Gesetze formell
und in einzelnen ganz untergeordneten Beziehungen auch materiell noch beibehalten
worden, der Sache nach so gut wie aufgehoben, indem für alle Arten von Gemeinden
eine gleichmäßig gestaltete Verfassung eingeführt wurde, die den einfacheren Bedürf-
nissen der Landgemeinden angepaßt, auf breiter demokratischer Grundlage aufgebaut
war und vor allem den Gemeindebürgern das im Wege periodischer Wahlen auszu-
übende Ernennungsrecht der Gemeindeorgane verlieh. Die Bestätigungsbefugnis der
Regierung wurde auf die Wahl der Bürgermeister beschränkt und auch hier noch we-
sentlich eingeengt 2). Ferner wurden die beiden bis dahin vorhandenen Klassen der Ge-
meindeangehörigen, die Ortsbürger und die Schutzbürger, einander gleichgestellt; nur
die Sonderstellung der Israeliten blieb und zwar bis zum Jahre 1862 in Geltung ).
Im übrigen wurde als persönliche Grundlage für die Gemeinden die festgeschlossene
Bürgergemeinschaft beibehalten, jedoch unter Abstreifung des bis dahin mit den Ge-
meinden verbundenen konfessionellen Elementes 5). Die näheren Vorschriften über
die Rechtsstellung der Bürger und über den Eintritt in diesen geschlossenen Kreis gab das
gleichzeitig mit der Gde.Ordg. erlassene sog. Bürgerrechtsgesetz. Die innerhalb der Ge-
meinde lebenden Personen, die das Gemeindebürgerrecht nicht erworben hatten und
unter der Bezeichnung der „staatsbürgerlichen Einwohner“ zusammengefaßt waren,
wurden zwar bei der Gemeindebesteuerung mit herangezogen, hatten aber an der
Gemeindeverwaltung und dem Almendgenuß so gut wie gar keinen Anteil). Die
Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten sollte nach wie vor der Hauptsache nach
in den Händen des kollegialisch organisierten Gemeinderates liegen, dessen Vorsitzen-
der, der Bürgermeister, zugleich auch in den Landgemeinden die Führung der Orts-
polizeiverwaltung übertragen erhielt. Neben dem Gemeinderat stand der für gewisse
Fälle zur Mitwirkung berufene Ausschuß. In den Gemeinden mit mehr als 3000
Seelen war außerdem die Bildung eines größeren Ausschusses zugelassen, der im
Zweifelsfalle an die Stelle der Gemeindeversammlung trat, und in dem auch die
Mitglieder des Gemeinderates und des kleineren Aus-
schusses Sitz und Stimme hatten.
1) Bgl. hierzu die aus den amtl. Akten u. den Materialien der 1831er Gemeindegesetzgebung
entnommenen Ausführungen von Fröhlich a. a. O. S. XXI ff.
2) Reg. Bl. Nr. 14.
3) Gde. Ordg. v. 31. Dez. 1831 F 11.
4) § 2 Abs. 2 Gd.O. § 54 Bürgr. Ges. vgl. Wielandt a. a. O. S. 496f.
5) Vgl. Fröhlich a. a. O. S. 294.
.6) +* 2 der Gde. Ordg. Die daselbst weiter noch genannten „Insassen" bestanden aus den von
einer Gemeinde freiwillig zum (bloßen) Heimatsrecht aufgenommenen oder ihr staatlicherseits zur
Unterstützung zugewiesenen Personen, ein Verhältnis, das seine Bedeutung bereits mit der Aende-
r der Armengesetzgebung verloren hat. Vgl. im übrigen Wielandt a. a. O. S. 33 u. S.
.u. 634 ff.