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Das unterm 1. Januar 1875 in Kraft tretende Gesetz erfuhr schon in den nächsten
Jahren wieder manche Aenderungen und Ergänzungen, wovon hier nur die beiden
Gesetze vom 6. Febr. 1879 über die Aufbringung des Gemeindeaufwandes in den
Städten 1) und vom 16. Juni 1884 die Städte Ordg. betr. genannt seien. Auf Grund einer
im letzteren Gesetze gegebenen Ermächtigung wurden sodann die neuen auf die größten
Städte bezüglichen Bestimmungen im Zusammenhang mit den daneben bestehen blei-
benden Vorschriften der Gemeindeordnung durch VO. vom 20. Juni 1884 als „Städte-
ordnung“" publiziert 2).
6. Die Entwickelung, welche in den größten Städten zur Aufgabe des Grund-
satzes der fest geschlossenen Bürgergemeinde geführt hatte, machte sich bald in ana-
loger Weise auch in der Mehrzahl der übrigen Gemeinden geltend. Mit Gesetz vom
22. Juni 1890 ) ging man deshalb, nachdem inzwischen auch für diese Art von Ge-
meinden die Aufbringung des Gemeindeaufwandes einer Neuordnung unterworfen
worden war "), auf der betretenen Bahn weiter und brachte für alle Gemeinden mit
mehr als 500 Einwohnern ebenfalls die Einwohnergemeinde zur Einführung, jedoch
hier unter Aufrechterhaltung der alten Bürgergemeinschaft, die nach wie vor eine
gewisse Sonderstellung einnahm, sowie hinsichtlich der Almendnutzungen allein berech-
tigt blieb, und ohne die besonderen auf die Verfassungsorganisation der großen Städte
bezüglichen Bestimmungen mit aufzunehmen. Nur wurde die indirekte Wahl der
Gemeinderatsmitglieder vorgeschrieben, und die Klasseneinteilung für die Wahlen zum
Bürgerausschuß wurde nach der Größe der Gemeinden verschieden abgestuft. Hiernach
bestanden von dem Inkrafttreten des letztgenannten Gesetzes an innerhalb Badens
also drei Arten von Gemeinden.
Dieser Zustand dauerte jedoch nicht lange, denn ein unterm 11. Juli 1896 erlasse-
nes Gesetz dehnte den Grundsatz der Einwohnergemeinde auch auf den letzten Rest der
Gemeinden aus unter analoger Anwendung der für die mittleren Gemeinden durch
das Gesetz vom 22. Juni 1890 gegebenen Vorschriften *).
7. Seitdem sind tiefgreifende organisatorische Aenderungen in der Verfassung
der Gemeinden nicht mehr erfolgt, so daß heute wiederum, wie im Jahre 1832, für
alle Gemeinden des Landes ein im wesentlichen gleicher Verfassungstypus besteht,
von dem nur hinsichtlich ihrer Organisation diejenigen Gemeinden abweichen, auf welche
die Städteordnung Anwendung findet, und die darnach als Städte im rechtlichen
Sinne den anderen Gemeinden als eine besondere Unterart gegenübergestellt werden
können. Die Städteordnung gilt heute kraft Gesetzes in den Städten Mannheim,
Karlsruhe, Freiburg, Pforzheim, Heidelberg, Baden, Konstanz und auf Grund frei-
williger Annahme in Bruchsal, Lahr und Offenburg. Für die übrigen Gemeinden
bestehen wieder gewisse rechtliche Unterschiede, je nachdeim ihre Bevölkerung die Zahl
4000, 2000, 1000 oder 500 erreicht. Die zu der erstgenannten Kategorie gehörenden
Gemeinden stehen in mancher Beziehung etwas selbständiger wie die übrigen; in den
Gemeinden unter 2000 Seelen werden die Mitglieder des Gemeinderats direkt ge-
wählt, außerdem sind die verschiedenen Abstufungen der Bevölkerungszahl für die
Bildung des Bürgerausschusses von Bedeutung.
Besondere Grundsätze hinsichtlich der Verwaltungsorganisation gelten endlich hin-
sichtlich der aus mehreren Ortschaften gebildeten „zusammengesetzten Gemeinden“.
Auch nach Einführung der Städteordnung ist die amtliche Bezeichnung „Stadt“ für
eine große Zahl von Gemeinden beibehalten worden, welche diesen Namen früher
schon besaßen, aber nicht unter die Städte Ordg. fallen. Einzelnen Gemeinden ist der
Titel einer Stadt sogar noch nachträglich verliehen worden 5). Ein rechtlicher Unterschied
1) G. u. WOnl. S. 63. In der Folge durch zahlreiche Gesetze wieder abgeändert und ergänzt.
2) G.u. VGBl. S. 233 und S. 239 ff.
3) G.u. WOl. S. 331.
4) Ges. v. 24. Febr. 1879 (G.u. VOl. S. 71), ebenfalls durch zahlreiche spätere Gesetze er-
gänzt und abgeändert.
5) G.u. Vl. S. 177. Dabei wurde indessen zugunsten der direkten Wahl der Gemeinde-
ratsmitglieder eine gewisse Konzession gemacht, die später durch Ges. v. 27. Juli 1902 noch weiter
auf alle Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern ausgedehnt wurde; auch wurde die Bestellung
eines Bürgerausschusses nur für die Gemeinden mit mehr als 500 Einwohnern vorgeschrieben.
6) Durch landesherrliche Entschließung.