Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

210 « Die Gesetzgebung. 35 
  
den Untertanen nur Vorteile gewährten oder lediglich organisatorische Vorschriften 
enthielten. Deren Erlaß gehörte, obwohl es sich auch bei ihnen um wahre 
Rechtssätze handelt 1), nach wie vor zur ausschließlichen Kompetenz des Landes- 
herrn, ebenso wie die Hinausgabe reiner Verwaltungsvorschriften. 
In der Folgezeit hat sich die Praxis derart gestaltet, daß man die neue 
Form des Gesetzes in immer steigendem Maße auch auf die letztgenannte Art 
von Rechtssätzen ausdehnte; ebenso verwendete man die gleiche Form bei der 
Vornahme einzelner wichtiger staatlicher Handlungen ganz ohne Rücksicht auf den 
rechtlichen Charakter ihres Inhaltes. Im Anschluß daran bildete sich im Wege 
der Gewohnheit der bisher nur für die Fälle der 64 und 65 Verf.-Urkunde 
geltende allgemeine Rechtssatz, daß alle staatlichen Handlungen, die einmal in 
den Formen des Gesetzes zustande gekommen, auch nur unter Einhaltung der- 
selben Formen wieder geändert werden können. Damit war aber neben dem 
von der Verfassungsurkunde noch auf einer materiellen Grundlage aufgebauten 
Gesetzesbegriff, ein anderer, nur nach einem Formerfordernis bestimmter, Be- 
griff getreten, welcher demjenigen entspricht, den die heutige Theorie des deut- 
schen Staatsrechtes mit dem Ausdruck Gesetz im formellen Sinne bezeichnet. 
Das bis zum 1. Januar 1900 geltende badische Landrecht hatte in seinen 
einleitenden Artikeln eine Reihe von Vorschriften nicht nur über die zeitlichen 
und örtlichen Grenzen der Gesetze, sondern auch über deren Auslegung und ihr 
Verhältnis zum Gewohnheitsrechte gegeben. Mit der Einführung des BG. 
wurden diese Vorschriften ohne, daß für das öffentliche Recht eine andere lan- 
desrechtliche Norm an ihre Stelle gesetzt worden, sämtlich ausgehoben. Gewisse 
Zweifel bestehen heute noch über die Geltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften 
besonders derjenigen untergeordneter Art bei Gebietsveränderungen der Kom- 
munalverbände 2). Die Anerkennung des Gewohnheitsrechtes auf dem Gebiete 
des öffentlichen Rechtes hatte sich auch schon vor dem Inkrafttreten des BGB. 
trotz aller einengenden Vorschriften des Landrechtes und seiner Einführungsedikte 
in weitem Umfange geltend gemacht, so abgesehen von dem oben erwähnten 
Falle besonders auf dem Gebiete des Budgetrechtes. 
s 66. Der Gang der Gesetzgebung. Nach der Verfassungsurkunde hat so- 
wohl der Großherzog wie eine jede Kammer das Recht, Gesetze vorzuschlagen 3). 
Zum Erlaß eines Gesetzes ist notwendig „die Zustimmung der Mehrheit einer 
jeden der beiden Kammern“. Der Erlaß selbst geschieht in der Weise, daß der 
Großherzog das Gesetz „bestätigt und promulgiert“)). 
Die Zustimmung der einzelnen Kammer ist dann als gegeben anzusehen, 
wenn sich die absolute Majorität der in der gesetzlich vorgeschriebenen Zahl an- 
1) Vgl. Jellineck, System S. 233 ff. und 238 ff. sowie Verw. Archiv XII S. 266. 
2) Vgl. hierzu die Ausführungen von Thoma Pol. Befehl 1 F 45 III. 
3) Das Initiativrecht wurde, worauf nochmals hingewiesen sei, den Kammern erst durch die 
Verf.Novelle vom 21. Dez. 1869 zugestanden, die in die Verf. Urk. einen neuen 3 65 a einschob. 
Das Initiativrecht der ersten K. ist übrigens insoweit einer Beschränkung unterworfen, als die 
Vorschriften über die Behandlungen der Finanzgesetze Platz greifen. § 60, 61 Verf. Urk. 
4) Verf. Urk. I# 65 und 66 a. A.
	        
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