Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

466 Die innere Verwaltung. Die geistige Verwaltung. 
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Der Staat verleiht weiter beiden Kirchen einen erhöhten strafrechtlichen und poli- 
zeilichen Schutz, er berücksichtigt insbesondere dabei auch die von denselben vorge- 
schriebenen Fest= und Feiertage 1). 
Zur Handhabung der kirchlichen Vorschriften und Anordnungen stellt er unter 
gewissen Voraussetzungen, so vor allem auf dem Gebiete der kirchlichen Besteuerung 
seine Gewalt zur Verfügung, und er unterstützt die Kirchen auch direkt durch Gewäh- 
rung von staatlichen Zuschüssen zur Bestreitung kirchlicher Bedürfnisse 2). Ein Aner- 
kenntnis der öffentlichen Stellung der beiden Kirchen liegt endlich auch in der denselben 
gesetzlich eingeräumten Landstandschaft 3). 
Aus der öffentlich-rechtlichen Natur der Kirchen ergibt sich, daß nicht nur das 
Verhältnis zwischen ihnen selber, sondern auch dasjenige zwischen einer Kirche und 
ihren Mitgliedern als solchen nach den Grundsätzen des öffentlichen Rechtes und nicht 
nach denen des Privatrechtes zu beurteilen ist. 
Da beide Kirchen als zwei das ganze Staatsgebiet umfassende Organisationen 
angesehen werden, so steht ihnen auch das Recht der öffentlichen Gottesverehrung 
in allen Teilen des Landes zu, mögen sie daselbst eine dauernde Niederlassung be- 
gründet haben oder nicht. Eine Schranke findet dieses Recht nur an den für alle 
öffentlichen Veranstaltungen geltenden polizeilichen Vorschriften, die natürlich in er- 
höhtem Maße Platz greifen, wenn öffentliche Wege in Frage kommen. Aus Rücksichten 
auf die Anschauung der anderen Konfession allein kann jedoch bei dem angenommenen 
Grundsatze der Parität eine öffentliche Gottesverehrung im Einzelfalle nicht unter- 
sagt werden. 
3. Als autonome Körperschaften sind beide Kirchen grundsätzlich selbständig sowohl 
auf dem Gebiete der Gesetzgebung wie auf dem der Verwaltung. In erster Hinsicht 
besteht eine formelle Beschränkung im allgemeinen nur insofern, als die Kirchen ver- 
pflichtet sind, alle ihre Verordnungen gleichzeitig mit deren Verkündigung der Staats- 
regierung mitzuteilen. Greifen solche Verordnungen jedoch in die bürgerlichen oder 
staatsbürgerlichen Verhältnisse ein, so können dieselben nur dann rechtliche Geltung 
erlangen, wenn sie von staatlicher Seite aus genehmigt worden sind 4). Zuständig zur 
Erteilung des hier noch aufrecht erhaltenen Plazet ist das Ministerium der Justiz, des 
Kultus und Unterrichtes. Eine direkte materielle Begrenzung des kirchlichen Dis- 
ziplinar-Verordnungsrechtes ist nirgends vorgesehen. 
Eine analoge Schranke, wie sie für das Verordnungsrecht gilt, besteht auch auf 
dem Gebiete der kirchlichen Selbstverwaltung. Alle in die Freiheit oder in das Ver- 
mögen einer Person eingreifenden Verfügungen und Erkenntnisse der Kirchengewalt 
können wider den Willen des Betroffenen nur von der Staatsgewalt zum Vollzug 
1) VO. v. 29. Nov. 1865 (Reg. Bl. S. 688); 5 366 Ziff. 1 RStrGB. Lbh. VO. v. 18. Juni 
1892 mit Nachträgen v. 31. Juli 1896; 25. Juli u. 3. Aug. 1898:; 22. Febr. 1900 u. 20. Febr. 
1907 (G.u. VOl. S. 139). Für Sonntage., die nicht zugleich Festtage sind, ist eine Beschränkung 
des Versammlungsrechtes nur bis zur Beendigung des vormittägigen Hauptgottesdienstes zulässig. 
R. Vereins Ges. v. 19. April 1908 F 24. 
2) Vgl. unten § 139. 
3) Verf. Urk. 5 27, FJ 30. 
4) § 15 des K Ges. Die staatliche Genehmigung wurde versagt: den vatikanischen Konsti- 
tutionen v. 18. Juli 1870. Erl. d. M. d. J. vom 16. Sept. 1870 (G.u. VOl. S. 663) u. der 
Konstitution Pius IX: Super vicariis capitularibus usw. Erl. v. 22. Nov. 1873 (G.u. BO Bl. 
S. 213 f.).
	        
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