Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

58 Die Organisation. Die Landstände. 8 18 
  
Zweites Kapitel. 
Bie Landstünde. 
8 18. Das Wesen der Landstände. Der Name der badischen Volksvertre- 
tung, die in dem ursprünglichen Verfassungstexte bald mit dem obenstehenden 
Ausdruck bald mit dem Worte Ständeversammlung oder schlechtweg als Stände) 
bezeichnet werden, erinnert an die dem werdenden Staate eigentümlich gewesenen 
Einrichtungen gleicher Benennung. Ebenso zeigt die erste Ausgestaltung der 
Kompetenz der Volksvertretung wie sie besonders auf dem Gebiete des Bud- 
getrechts vorgenommen wurde, gewisse Anklänge an die von den alten Ständen 
seiner Zeit in Anspruch genommenen Befugnisse. Wie früher hervorgehoben, 
haben sich endlich die ersten Schritte, die auf die Einführung der bestehenden 
Repräsentativverfassung gerichtet waren, an die Aufhebung des letzten Restes 
der alten Stände zeitlich beinahe unmittelbar angeschlossen. Dessen ungeachtet 
besteht zwischen jenen alten Ständen und der heutigen Volksvertretung rechtlich 
nicht der geringste Zusammenhang. Die heutigen Landstände sind eine voll- 
ständige Neuschöpfung, deren Wurzeln keineswegs in jene auf eigenem Rechts- 
boden stehende Vereinigung der privilegierten Klassen der Territorien zurück- 
gehen, welche dem Landesherr als Vertragspartei gegenüber traten; ihre Grund- 
lage bildet vielmehr einzig und allein die vom Großherzoge im Jahre 1818 aus 
freiem Entschlusse gewährte Verfassung. 
Der Gedanke, der den Schöpfer der Verfassung bei der Einführung der 
neuen Stände leitete, war das Bestreben, trotz scharfer Betonung der Einheit- 
lichkeit der Staatsgewalt dem Monarchen ein zweites unabhängiges Organ zur 
Seite zu stellen, das als der spezielle Repräsentant des Gemeininteresses bei 
den wichtigsten Entschließungen vor allem bei der Handhabung der gesetzgebenden 
Gewalt zur Mitwirkung berufen sein sollte. Die Notwendigkeit dieser Mitwir- 
kung bot zugleich auch eine rechtliche Garantie dafür, daß alle die Einschränkungen, 
welche der Landesherr seiner bisher absoluten Macht aus freien Stücken auferlegt 
hatte, Bestand erhielten, und die Zusammensetzung des aus allen Volkskreisen ge- 
bildeten neuen Organs gewährleistete in höherem Maße eine allseitig gerechte 
Berücksichtigung der verschiedenen Interessen der Staatsangehörigen, als dies bei 
der alleinigen Wahrnehmung der Staatsgeschäfte durch den Landesherrn und 
seine Beamten, auch mit der besten Organisation und den besten Willen aller vor- 
ausgesetzt, möglich war. 
Obwohl durch den Willen des Fürsten ins Leben gerufen, leiten die badi- 
schen Stände ihre Kompetenz rechtlich doch keineswegs vom Monarchen ab, 
sondern einzig und allein vom Staate, aus dessen Verfassung. Wie der Monarch, 
so sind deshalb auch sie ein unmittelbar es Staatsorgan. Die Stände 
handeln daher auch nicht im Namen des Monarchen oder nach dessen Anord- 
nungen, wenn sie auch ohne den Willen des Großherzoges nicht zu tagen ver- 
1) Letztere Bezeichnung findet sich regelmäßig in den Einzelgesetzen, in denen die Mitwirkung 
der Volksvertretung bemerkt ist. Der Ausdruck „Landtag“ wurde früher nicht zur Bezeichnung der 
Institution der Stände, sondern nur für die einzelnen Tagungen gebraucht (vgl. Verf. Urk. 8 68 u. f.); 
erst die Novelle von 1904 verwendet dieses Wort auch im obigen Sinne (vgl. z. B. 9I39, § 40 Verf. Urk.). 
 
	        
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