Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

8 20 Die Gliederung der Landstände. 63 
  
Entwurf des Finanzgesetzes nebst dem Staatsvoranschlag sowie sonstige Entwürfe 
über die Bestimmung der Steuersätze für eine Budgetperiode, über Veräuße- 
rung, Belastung oder Verwendung des Staats= oder Domänenvermögens, über 
Aufnahme von Anlehen, Uebernahme von Staatsbürgschaften oder von sonstigen 
Staatsverbindlichkeiten ähnlicher Art. Alle diese Gegenstände sind zuerst von der 
zweiten Kammer zu behandeln 1). 
Bezüglich der unter a) genannten Vorlagen beschränkt sich das Vorrecht der 
zweiten Kammer auf dieses rein formelle Vorgangsrecht, bei den unter b) und 
Tc) aufge führten schließt jedoch ihre Ablehnung eine Weiterbehandlung durch die 
erste Kammer vollständig aus, und bei den unter c) fallenden Gegenständen 
findet, wenn die erste Kammer einen von der zweiten Kammer angenommenen 
Entwurf „im ganzen“ abgelehnt hat, auf Verlangen der Regierung oder der 
zweiten Kammer die oben erwähnte Gesamtabstimmung statt und zwar darüber, 
ob der Entwurf in der ihm von der zweiten Kammer gegebenen Fassung 
anzunehmen sei. Ausschließlich maßgebend ist das Votum der zweiten Kammer 
endlich, wenn es sich um die Feststellung der einzelnen Positionen des Etats 
handelt 2). 
Eine der reinen Wahlkammer gemachte Konzession ist weiter in dem Vor- 
zuge zu erblicken, den die zweite Kammer hinsichtlich der Besetzung ihres Prä- 
sidentenstuhles und hinsichtlich der Behandlung der sogenannten Verfassungsbe- 
schwerden genießt 3). Auf dieselbe Grundlage ist es auch zurückzuführen, daß 
man der zweiten Kammer allein das Recht verliehen hat, die Ministeranklage zu 
erheben 4). 
20. Die Zusammensetzung der ersten Kammer. I. Wie in der Einlei- 
tung hervorgehoben, beabsichtigte man bei der Annahme des Zweikammersy- 
stems in der ersten Kammer vor allem den Ansprüchen der mit der Auflösung 
des alten Reiches unter die badische Landeshoheit gekommenen Adeligen gerecht 
zu werden. Dabei ging man dazu über, die den früheren Mitgliedern des nie- 
deren Reichsadels zugedachten Bevorzugungen zugleich auch dem landsässigen 
Grundadel zu teil werden zu lassen. Weiter berücksichtigte man die beiden Kirchen 
1) Dieselben können demgemäß auch nur in der zweiten Kammer zum Gegenstand eines 
Initiativantrages gemacht werden, vgl. Glockner a. a. O. S. 147 zu § 65a Verf. Urk. 
2) Vgl. hierzu die §#§ 60 u. 61 der Verf. Urk., durch deren Neuredaktion gelegentlich der Verf. 
Reform des Jahres 1904 ein alter Streit über den Umfang der Vorrechte der zweiten Kammer 
auf finanziellem Gebiete geschlichtet wurde. Nach dem früheren Rechte war die erste Kammer bei 
den „die Finanzen betreffenden Gegenständen“ nur befugt, über die gemachten Vorlagen im ganzen 
abzustimmen, nachdem die zweite Kammer dieselben angenommen hatte, und nur über die durch 
Beschluß der zweiten Kammer festgestellte Fassung. Ging die Entscheidung der ersten Kammer auf 
Ablehnung, so wurden die in beiden Kammern über die Vorlage abgegebenen Stimmen zusammen- 
ezählt und nach dem auf diese Weise gewonnenen Resultat der „Beschluß der Landstände“" be- 
immt. Die Bedeutung des Wortes Finanzgegenstand war äußerst bestritten. Die Verf.Novelle 
vom 24. August 1904 hat nicht nur diesen Zweifel abgeschnitten, sie hat auch der ersten Kammer 
das Recht gewährt, alle an sie gelangende Vorlagen der im § 60 genannten Art zu amendieren 
und beliebig oft an die zweite Kammer zurückzugeben. Zur Abstimmung über den Entwurf im gan- 
zen ist die erste Kammer rechtlich nicht gezwungen. Besondere Grundsätze gelten nur für die Fest- 
stellung der einzelnen Positionen des Etats, die nunmehr gesondert vorgenommen werden kann 
(näheres s. unten). 
3) § 45, 67 Abs. 3 Verf. Urk. 
4) ### 67a u. ff. Verf. Urk.
	        
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