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Kataster der direkten Steuern auf mindestens eine Million Mark veranschlagt ist.
Fallen diese Voraussetzungen der Verleihung weg, so erlischt die erbliche Land-
standschaft.
An Stelle eines minderjährigen oder wegen Geisteskrankheit entmündigten
Besitzers eines standesherrlichen Gutes kann der Vormund, wenn er Agnat
der Familie ist, die Mitgliedschaft in der ersten Kammer ausüben. Ebenso
kann das Haupt einer standesherrlichen Familie, wenn es aus anderen
Gründen an der Ausübung der Mitgliedschaft verhindert ist, für die Dauer einer
Sitzungsperiode einen Agnaten als Stellvertreter mit der Ausübung der Mit-
gliedschaft betrauen 1).
Der in die erste Kammer eintretende Vormund eines Standesherrn sowohl
wie der ernannte Stellvertreter müssen den für die gewählten Mitglieder der
ersten Kammer vorgeschriebenen Anforderungen entsprechen (vergl. unten Ziff. 4).
Für den Standesherrn als solchen gelten diese Vorschriften nicht. Für ihn ge-
nügt der Besitz der badischen Staatsangehörigkeit; Wohnsitz innerhalb Badens ist
nicht erfordert. Auch eine Entmündigung wegen Verschwendung oder Trunksucht
schließt ihn von der Mitgliedschaft nicht aus 5.
3. Aus dem katholischen Landesbischof 3) und dem Prälaten der evangelischen
Landeskirche ). In Ermangelung des katholischen Landesbischofes tritt der Bis-
tumsverweser in die erste Kammer ein; eine anderweite Stellvertretung ist nicht
zugelassen 5). Die Mitgliedschaft der hier genannten Personen erlischt mit Auf-
gabe des sie begründenden Amtes.
4. Aus acht, von den Mitgliedern des grundherrlichen Adels aus ihrer Mitte
gewählten Abgeordneten. Zu der Wahl derselben sind an und für sich alle im
Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befindlichen adeligen Eigentümer oder Mit-
eigentümer eines im Großherzogtum gelegenen Gutes berufen, dem im Jahre
1806 die Eigenschaft der Reichsunmittelbarkeit oder das Recht der Patrimonial-
gerichtsbarkeit zukam. Die Wahlberechtigten sind auch alle selbst wählbar 9).
Die vererbliche Berechtigung zur Teilnahme an der Wahl der grundherrlichen
Abgeordneten kann durch landesherrliche Entschließung auch solchen adeligen Grund-
besitzern verliehen werden, die innerhalb des Großherzogtums ein Stammgut be-
1) Die beiden hier genannten Vertretungsbefugnisse gelten nur für die standesherrlichen
nicht auch für die übrigen im Besitze der erblichen Landstandschaft befindlichen Familien.
Ueber die Gründe der Verhinderung entscheidet das Ermessen des Standesherrn. Vglgl. Glockner
a. a. O. S. 73. Ueber die rechtliche Stellung der Stellvertreter siehe unten F 22.
2) Verhältnisse dieser Art, ebenso das Bestehen einer Pflegschaft nach § 1910 BGB. können
den Standesherrn ev. zur Bestellung eines Vertreters bestimmen. Der Standesherr kann jedoch von
dieser Befugnis keinen Gebrauch machen, wenn er der bürgerlichen Ehrenrechte verlustig ge-
gangen ist.
3) Dies ist seit der Bildung der oberrhein. Kirchenprovinz der Erzbischof v. Freiburg. Vgl.
Lh. VO. vom 16. Oktober 1827 (Reg. Bl. S. 211).
4) Früher wurde der evangel. Kirchenvertreter vom Großherzog auf Lebensdauer in die I. K.
ernannt und erhielt damit den Titel eines Prälaten. Seit dem Erlaß der evang. Kirchenverfassung
v. 1861 ist die Prälautr zu einem kirchlichen Amt geworden. Vglgl. Glockner S. 66.
5) Verf. Urk. § 27 Ziff. 3 u. § 30.
6) Verf. Urk. +27 Ziff. 4, § 29 Abs. 1, § 32a Abs. 3. Es genügt der Besitz eines grundherrl.
Gutes. Zugehörigkeit zu einer der bei der Begründung des Großherzogtums als grundherrlich
erklärten Familien wird nicht erfordert. In der Praxis sind auch die adeligen Ehemänner der im
Besitz von Grundherrschaften befindlichen Frauen zur Wahl zugelassen worden. Vgl. Glockner
a. a. O. S. 75 f.
Walz, Baden. 5