21 Die Zusammensetzung der zweiten Kammer. 71
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stalten erforderlichen Unterrichtsmittel gelten nicht als Armenunterstützung;
4. wenn der Wahlberechtigte trotz rechtzeitiger Mahnung und ohne Stun-
dung erhalten zu haben bei Abschluß der Wählerliste mit der Entrichtung einer
ihm für das vorausgegangene Steuerjahr gegenüber dem Staat oder der Ge-
meinde obliegenden direkten Steuer im Rückstand ist 1).
Nach dem ursprünglichen Inhalte der Verf. Urk. war das Wahlrecht nur den-
jenigen Staatsbürgern eingeräumt, die im Wahlorte als „Ortsbürger“ angesessen
waren, oder daselbst ein öffentliches Amt bekleideten.
Es waren also die große Zahl der Hintersassen, die Gewerbegehilfen die im Ge-
sindedienst stehenden Personen und der Hauptsache nach auch die Israeliten ausge-
schlossen. Außerdem war die Wahlberechtigung zur II. Kammer den Mitgliedern
der I. Kammer und den bei der Wahl der Grundherren stimmberechtigten Per-
sonen entzogen 2).
Das Gesetz vom 21. Dezember 1869 löste die Wahlberechtigung von dem
immer mehr an Bedeutung verlierenden Ortsbürgerrechte ab und verknüpfte
dieselbe ganz allgemein mit dem Staatsbürgerrecht, nur die Innehabung eines
Wohnsitzes im Wahlbezirk verlangend. Weitere positive Voraussetzungen außer
dem zurückgelegten 25. Lebensjahre waren dabei nicht vorgeschrieben 3).
Die Verfassungsreform des Jahres 1904 beseitigte die aus den Beziehungen
zur I. Kammer bisher abgeleiteten Beschränkungen des Wahlrechtes, machte jedoch
mit Rücksicht auf die mit der Einführung der direkten Wahl eingeräumte
Konzession an die Wähler die Wahlberechtigung von einem länger andauernden
Besitz der badischen Staatsangehörigkeit abhängig und verlangte für die Aus-
übung des Wahlrechtes die Erfüllung der Steuerpflicht gegenüber dem Staat
und der Gemeinde, indem sie andererseits aber den Begriff der Armenunter-
stützung durch Ausschaltung der für Unterrichtszwecke gewährten öffentlichen
Leistungen enger interpretierte.
III. Wählbar zum Mitglied der zweiten Kammer sind alle Wahlberech-
tigten, die im Zeitpunkte der Wahl das 30. Lebensjahr vollendet haben, sofern
bezüglich ihrer nicht die ein Ruhen der Wahlberechtigung bewirkenden besonderen
Gründe vorliegen. Die unterbliebene Erfüllung der Steuerpflicht bewirkt keine
Beschränkung der Wählbarkeit 4.
Wohl aber gelten für einzelne Klassen von Personen gewisse relative Aus-
schließungsgründe. So sind die Vorsteher und Beamten der Bezirksämter, der
1) Verf. Urk. § 35. Außerdem kommen hier selbstverständlich noch die auf Grund reichsrecht-
licher Vorschriften entstandenen Hinderungsgründe in Betracht: § 34 RSto B.; § 49 RMil. Ges.
v. 2. Mai 1874.
2) Verf. Urk. v. 22. Aug. 1818 83§ 36, 37. LWO. F 43. Die Gde. Ordg. v. 31. Dez. 1831 hatte
zwar durch grundsätzliche Aufhebung des Schutzbürgerverhältnisses die Zahl der vollberechtigten
Ortsbürger bedeutend vermehrt; die Israeliten wurden jedoch nur ausnahmsweise als Ortsbürger
aufgenommen. Vgll. Wielandt Gde. Rt. S. 496 f. Erst das Gleichstellungsgesetz vom 4. Okt.
1862 (Reg. Bl. S. 450), welches die Israeliten dem Ortsbürgerrecht unterstellte, verschaffte denselben
auch allgemein das Wahlrecht, nachdem die Wählbarkeit der Israeliten zur II. K. bereits durch das
Ges. v. 17. Februar 1849 (Reg. Bl. S. 75) anerkannt worden war.
3) Als Wohnsitz wurde auch damals schon jeder nicht bloß vorübergehende Aufenthalt an-
gesehen.
4) Verf. Urk. 5 32 a Abs. 2 und § 36 Abs. 1.