Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

78 Die Organisation. Die Landstände. g 23 
  
arbeit berufen beim Erlaß aller Gesetze, welche die Verf.-Urk. ergänzen, erläutern 
oder abändern. Ebenso erklärt der § 65 daselbst die Zustimmung der Stände 
für notwendig zum Erlaß, zur Abänderung oder authentischer Erklärung „aller 
anderen die Freiheit der Personen oder das Eigentum der Staatsangehörigen 
betreffenden allgemeinen Landezsgesetze“. 
Wie weit die hier vorgesehene Mitarbeit der Kammer im einzelnen geht, 
und welche formelle Voraussetzungen dabei zu erfüllen sind, wird später zur Dar- 
stellung kommen. Hier sei nur erwähnt, daß die Zuständigkeit der Kammern 
insbesondere dadurch nicht berührt wird, daß die Regierung zur Vornahme einer 
Handlung, die in das der Kammertätigkeit mit überwiesene Gebiet entfällt, einem 
anderen Staate gegenüber durch Staatsvertrag verpflichtet ist 1), und daß seit 
der Verf.-Novelle vom 21. Dezember 1869 die einzelnen Kammern auch das 
Recht zur Initiative auf dem Gebiete der Gesetzgebung besitzen ?). 
2. Aus dem durch den 5 53 der Verf.-Urk. nochmals besonders anerkannten 
Steuerbewilligungsrecht der Stände hat sich allmählig die Befugnis entwickelt, 
bei der Aufstellung des gesamten Staatshaushaltes und bei der Kontrolle über 
die Verwendung der Staatsgelder in entscheidender Weise mitzuwirken 3). 
Außerdem ist die Zustimmung der Stände durch die Verf.-Urkunde für be- 
stimmte Einzelhandlungen der Finanzverwaltung direkt vorgeschrieben t). Näheres 
siehe unten in dem Abschnitte über die Finanzverwaltung. 
3. Auch auf den bisher nicht genannten Gebieten der Staatsverwaltung 
kommt den Ständen ein gewisses Kontrollrecht zu. Sie können zwar 
nicht verlangen, daß ihnen von allen Regierungshandlungen fortlaufend Mit- 
teilung gemacht wird, wohl aber besitzen sie nach & 67 der Verf.-Urkunde das 
Recht der Vorstellung und Beschwerde. 
Die Verfassung erklärt die Kammer einmal für befugt, in Bezug auf alle 
staatlichen Angelegenheiten dem Großherzoge Vorschläge und MWünsche, sei es 
einzeln, sei es gemeinschaftlich in der Form einer Bitte zum Vortrag zu 
bringen 5). Geht die Bitte einer einzelnen Kammer auf Vorlage eines Gesetzes, 
so kann dieselbe nur dann an den Großherzog gelangen, wenn zuvor auch der 
anderen Kammer Gelegenheit zur Aeußerung gegeben worden 7). 
Die Kammern können aber weiter auch wegen Verletzung bestehender Rechts- 
vorschriften oder wegen Mißbräuchen in der Verwaltung eine förmliche Be- 
schwerde erheben mit dem Ersuchen um Abhilfe. Eine Verpflichtung der Re- 
gierung zur Prüfung solcher Beschwerden ist in der Verfassung zwar ausdrück- 
lich nur für den Fall vorgeschrieben, daß es sich um Uebergriffe auf dem Ge- 
  
1) Anderes galt gemäß &2 Verf. Urk. während der Zeit des deutschen Bundes für die Bundcs- 
beschlüsse. 
2) Verf. Urk. § 65 a. 
3) Vgl. Verf. Urk. 8§ 53 ff. §§ 60 ff. und Etatges. vom 22. Mai 1882 (Fassung v. 1888). 
4) Verf. Urk. /9 57 ff. 
5) Das sogen. Petitionsrecht der Stände. Vor dem Erlaß der Verf.Novelle vom 20. 
Februar 1868 konnte dasselbe nur durch übereinstimmenden Beschluß beider Kammern geltend ge- 
macht werden. 
6) Es ist aber nicht erforderlich, daß die andere Kammer dem Vorschlage zustimme. Näheres 
über die Behandlung einzelner Fälle aus der letzten Zeit siehe bei Glocknera. a. O. S. 155.
	        
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