8 23 Die Zuständigkeit der Landstände. 81
ihres Prüfungsrechtes in gleicher Weise an Recht und Gesetz gebunden. Sie
darf nicht etwa nach politischen Gesichtspunkten entscheiden 1).
Was den Umfang des Prüfungsrechtes angeht, so erstreckt sich dasselbe grund-
sätzlich auf alles, was für die Beurteilung der Legitimation von Bedeutung sein
kann, bei den gewählten Mitgliedern also insbesondere auf die Berechtigung der
Wähler, das ganze Wahlverfahren und auf die Fähigkeit der Gewählten.
Hinsichtlich der Prüfung der Berechtigung der Wähler begegnet jedoch die
Kammertätigkeit dann einer Schranke, wenn über eine solche Berechtigung ein
Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vorliegt. Der Rechtskraft eines solchen Er-
kenntnisses muß sich die Kammer als Staatsorgan ebenso beugen wie alle an-
deren Organe des Staates 2). Im übrigen ist, was insbesondere die Prüfung des
Wahlverfahrens anbetrifft, davon auszugehen, daß die Kammer auch bei Fest-
stellung gewisser Verstöße gegen geltende Vorschriften zu einer Verneinung der
Mitgliedschaft dann nicht gelangen darf, wenn außer allem Zweifel, daß diese
Berstöße auf das im übrigen gültig zustande gekommene Wahlergebnis ohne
jedden Einfluß gewesen. Die Kammer darf sich nicht etwa unter analoger An-
wendung prozeßrechtlicher Grundsätze in die Rolle eines Revisionsgerichtes ver-
setzen und aus rein formellen Ordnungswidrigkeiten die Nichtigkeit einer Wahl
ableiten oder gar eine für das Wahlergebnis bedeutungslose Nachlässigkeit der
Wahlkommission damit bestrafen wollen, daß sie deren Arbeit für ungültig erklärt.
Gesetzesvorschriften, welche unter gewissen Voraussetzungen eine Wahlhandlung
ausdrücklich als nichtig bezeichnen, bestehen in Baden nicht.
Während nach den für die Wahlen zum deutschen Reichstage geltenden Grund-
sätzen das Ergebnis der Prüfung immer nur auf eine Bejahung oder Vernei-
nung der Berechtigung des proklamierten Abgeordneten gehen kann, ist nach
badischem Rechte, da die Kammer „über die streitigen Wahlen erkennt“, den
Ständen die Befugnis zuzuschreiben, unter Umständen auch einen anderen an
Stelle des Proklamierten zum Abgeordneten zu erklären 3).
Das bei der Legitimationsprüfung anzuwendende Verfahren bestimmt sich
im wesentlichen nach den für die einzelnen Kammern bestehenden Geschäftsord-
nungen. Dasselbe wird später bei Darstellung der Geschäftsformen der Kammern
(s 26) zur Besprechung gelangen. Nur für den einen Fall, daß eine Kammer
1) Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß es an einem Organ im Staate fehlt,
das in der Lage wäre, derartige Verfehlungen der Kammer rechtlich zu korrigieren.
2) a. A. ielandt a. a. O. S. 67 u. Glocknera. a. O. S. 232, beide von der Ansicht
ausgehend, daß das Gesetz (§ 41 Verf. Urk.) den Kammern ein ganz unbeschränktes, durch andere
Staatsorgane nicht zu beeinträchtigendes, Prüfungsrecht gegeben. Eine derartige Exemption hätte
aber dem spätern Gesetze v. 14. Juli 1884 gegenüber bezügl. des im §& 3 Ziff. 18 daselbst geregelten
Punktes, da die Kammer doch auch nur ein Staats organ ist, ausdrücklich vorbehalten werden
müssen. Vgl. die nähere Darlegung in der angef. Abhandlung S. 36 ff.; ferner G. Leser, Un-
tersuchungen ** das Wahlprüfungsrecht des deutschen Reichstages. Inaug.-Diss. Heidelberg
1908 S. 8 u. ff.
3) Die Gesch. Ordnungen sprechen zwar nur von einer Prüfung der Vollmacht der neu ein-
tretenden Mitglieder. Die Kammern haben indessen an ihrer weitergehenden Kompetenz, bei meh-
rerenr Streitenden den richtig gewählten herauszusuchen, nie gezweifelt. Vgl. die angeführte Ab-
handleng S. 62. Ebenso haben sich dieselben früher in konstanter Praxis für befugt erklärt, bei der
Nachprüfung des Wahlverfahrens zur Kassierung einzelner Teile desselben zu gelangen. Ein unterm
22. Dez. 1905 in der 7. öff. Sitzung der II. K. im Einverständnis mit der Regierung gefaßter Be-
schluß hat diese letztere Anschauung jedoch wieder verworfen (Karlsruher Zeitung 1905 Nr. 357).
Walz, Baden. 6