8 24 Die Zuständigkeit der Landstände. Die Verfassung der einzelnen Kammern. 83
mungen eingreifen, auch die im Raumbereich der Kammern weilenden Dritten.
Wie anderwärts, so besteht auch in Baden die Uebung, daß die einzelnen Land-
tage die einmal beschlossenen Geschäftsordnungen einfach übernehmen und damit
stillschweigend gutheißen 1).
Der nähere Inhalt der hier einschlagenden Kammerbeschlüsse wird bei Bespre-
chung der Organisation und des Geschäftsganges der Kammern zur Darstellung ge-
langen.
3. Zum Schutze der Ständeversammlung gegen Beeinträchtigungen, die ihren
Tagungen infolge der etwaigen Verhaftung einzelner Ständemitglieder widerfahren
könnten, hat die Verf.-Urkunde in Abweichung von dem Grundsatze der Unabhängig-
keit der Rechtspflege den einzelnen Kammern die Befugnis eingeräumt, die Verhaf-
tung ihrer Mitglieder zu verhindern:
Nach § 49 Verf.-Urk. darf kein Ständeglied „während der Dauer der Versamm-
lung ohne ausdrückliche Erlaubnis der Kammer, wozu es gehört, verhaftet werden,
den Fall der Ergreifung auf frischer Tat bei begangenen peinlichen Verbrechen aus-
genommen“. Die „Dauer der Versammlung" umfaßt den ganzen Zeitraum zwischen
der Einberufung und der vom Großherzoge ausgehenden Vertagung, Schließung oder
Auflösung des Landtages 2). Als „peinliche“ Verbrechen sind heute alle unter § 1 Ziff. 1
des RSt GB. fallenden Delikte anzusehen 3). Das Verbot des# 49 Verf.-Urk. umfaßt
zwar jede Art der Verhaftung (Untersuchungs-, Straf= oder Zivilhaft), es erstreckt sich
jedoch nur auf die Festnahme zur Haft, nicht auch auf die Fortdauer einer vor dem
Zusammentritt der Stände bereits begonnenen Internierung. Deren Unterbrechung
könnte die Kammer nur auf Grund der für die Zivilhaft gegebenen reichsrechtlichen
Vorschrift des § 905 Ziff. 1 Z3 Pr O. verlangen. Von der in & 6 Ziff. 1 des EG. zur
Str PrO. der Landesgesetzgebung auch bezüglich der Haftunterbrechung allgemein vor-
behaltenen Befugnis hat Baden bis jetzt keinen Gebrauch gemacht.
§ 24. Die Verfassung der einzelnen Kammern. 1. Die Organe der Kam-
mern. Jede der beiden Kammern hat ein eigenes Bureau und eigene ständische
Beamte.
Das erstere, dessen Mitglieder aus dem Kreise der Kammerangehörigen ent-
nommen werden, und das im Ehrenamte tätig ist, besteht aus einem Präsidenten
und zwei Stellvertretern desselben, sowie aus einer Anzahl von Sekretären. In der
ersten Kammer sind zur Zeit zwei, in der zweiten vier Sekretäre tätig.
Der Präsident der ersten Kammer und seine Vertreter werden vom Großherzog
für jeden Landtag ernannt. Die Sekretäre der ersten Kammer sowie das gesamte
Bureau der zweiten Kammer werden durch Wahl seitens der Kammer berufen ?#).
1) Die s. Zeit auf dem ersten Landtag angenommenen Geschäftsordnungen blieben denn auch
ohne wesentliche Aenderungen bis zum Jahre 1869 in Kraft; auch in der Folgezeit haben an den-
selben nur geringe Abänderungen stattgefunden. Die heute geltende Gesch. Ordg. der ersten Kam-
mer datiert v. 31. Jan. 1874; die der zweiten vom 14. Februar 1870. Dieselben sind beide im Druck
erschienen und finden sich wiedergegeben bei Glocknera. a. O. S. 372 ff., woselbst auch die ein-
zelnen Nachtragsbeschlüsse aufgeführt sind.
2) Der Art. 31 Abs. 3 RV. erstreckt sich auf die ganze „Sitzungsperiode“, umfaßt also auch den
in eine Vertagung fallenden Zeitraum. Eine ganz andere Bedeutung hat das Wort „Sitzungs-
periode“ in Verf. Urk. § 79. Siehe S. 87 Anm. 1.
3) Vgl. Glockner a. a. O. Anm. 1 zu § 49 Verf. Urk.
4) Bgl. Verf. Urk. § 45. Vor dem Ges. v. 21. Dez. 1869 hatte die zweite Kammer nur das
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