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habe ich befürchtet, daß sie eine so starke Verletzung des National-
gefühls enthielte, daß sie später den Frieden frühzeitig beeinträch-
tigen würde. Ich habe mich deshalb darauf beschränkt, zu fordern,
daß wir nach dem Prinzip der meistbegünstigten Nationen uns
gegenseitig zu behandeln hätten.“
Lassen sich diese Ausführungen auch für die uns bevorstehenden
Friedensverhandlungen verwerten? Trifft das, was staatsmännische Klug-
heit damals gebot, auch für die heutigen Verhältnisse zus
Ein wesentlicher Unterschied zwischen heute und damals ist zunächst
der, daß es sich 1871 nur um einen Vertrag zwischen zwei einzelnen Staaten
handelte, während heute fast das gesamte Wirtschaftsgebiet nicht nur Euro-
pas, sondern der ganzen Welt in Frage steht. Deshalb kommt auch die
Verletzung des Nationalgefühls nicht so sehr in Betracht. Im Jahre 1871
fühlte Frankreich sich vor den Augen aller anderen Staaten besiegt, und
jede Friedensbedingung, die einen allzu scharfen Eingriff in die Staatshoheit
Frankreichs bedeutete, mußte um so empfindlicher wirken, weil Frankreich
bei diesem Friedensschluß aller Augen auf sich gerichtet sah. Heute sind die
Zuschauer in der Minderzahl, und die Kriegführenden umfassen, alles in
allem zusammengenommen, den größten Teil der Kulturwelt. Deshalb kann
man hier wohl von dem Nationalgefühl absehen, wenn es sich darum han-
delt, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den kriegführenden Staaten
durch einen alsbald abzuschließenden Vertrag wieder zu ordnen. Dazu
kommt nun, daß eine ganze Reihe von denjengen Bestimmungen, die wir
in Handelsverträgen finden, alsbald nach Friedensschluß dringend
neuer Gestaltungbedürfen.
Die neueren Handelsverträge pflegen über folgende Fragen Ver-
einbarungen zu treffen:
Höhe der Ein- und Ausfuhrzölle
Ein- und Ausfuhrverbote
Schiffsverkehr
Eisenbahnverkehr (wichtig die Frage der Vereitelung von Zollver-
einbarungen durch innerstaatliche Eisenbahn-Tarifpolitik.)
Paßwesen
Niederlassung von Ausländern
Grundbesitz
Abgaben
Gerichtsbarkeit
1) S. hierüber Löwinger, die zukünftigen Handelsverträge und die Eisenbahnen.
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. 1915, 158.