Vierter Abschnitt.
Ansprüche auf Kriegsschadenersatz nach geltendem Recht.
1. Ansprüche gegen den eigenen Staat.
Für alle Deutschen, die irgendwelchen Kriegsschaden erlitten haben, ist
die erste, wichtigste Frage die: haben sie einen Anspruch auf Schadenersatz
gegen den eigenen Staat? Muß das Reich ihnen erstatten, was sie durch
den Krieg verloren haben? Oder können sich die Geschädigten an die
einzelnen Bundesstaaten wenden und sie nötigenfalls auf Ersatz verklagen?
In dem Aberblick über die Geschichte des Kriegsschadenersatzes ist schon
erwähnt worden, daß man um 1830 in Preußen solche Klagen auf Kriegs-
schadenersatz gegen den Fiskus nicht nur angestrengt, sondern auch gewonnen
hat. Wir müssen also zunächst das geltende Recht daraufhin prüfen, ob der
einzelne Deutsche gegen Reich oder Staat Kriegsschadenersatz beanspruchen
und ob er gegebenenfalls darauf klagen kann.
Es fragt sich zunächst, ob man solche Ersatzansprüche aus allge-
meinen Rechtsgrundsätzen beraus entwickeln kann, die als selbft-
verständlich zu gelten haben, obschon sie nicht besonders schriftlich nieder-
gelegt worden sind. Die Frage ist zu verneinen. Ein Rechtsanspruch auf
Zahlung ist nach deutschem Recht nur dann gegeben, wenn er irgendwie in
der Gesetzgebung eine Stütze findet. Sie braucht nicht gerade im Wortlaut
des geschriebenen Gesetzes zu bestehen. Auch allgemein anerkanntes Ge-
wohnheitsrecht kann zur Begründung dienen. Dagegen reicht es nicht aus,
einen Anspruch aus reinen Rechtsbegriffen heraus zu entwickeln, ebenso-
wenig, wie Billigkeit oder Angemessenbeit allein einen Anspruch begründen
können. Vielmehr lassen Begriffsforderungen und Gesichtspunkte der Billig-
keit sich nur dazu verwerten, daß man diesen Forderungen entsprechend ein
Gesetz zu formen trachte. Aus allgemeinen Erwägungen heraus läßt sich
also die Frage des Kriegsschadenersatzes für das geltende deutsche Recht nicht
lösen. Es besteht weder ein Gewohnheitsrecht, noch gibt es eine allgemeine
Rechtsvorschrift, nach welcher Kriegsschäden grundsätzlich vom Staat er-
stattet werden müßten.