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die innerhalb Deutschlands feindliches Staatseigentum ergriffen haben,
stellen nicht eine Handlung der Gerichtsbarkeit, sondern der Kriegführung
dar. Man hat während des Krieges verschiedentlich versucht, für Ansprüche
gegen die russische Regierung russisches Staatseigentum pfänden zu lassen,
so die von der Bugra in Leipzig her noch dort befindlichen Werte.1) Die
Gerichte haben aber derartige Anträge abgelehnt mit der Begründung, ein
auswärtiger Staat könne im Inland nicht verklagt werden. So wenig er-
freulich diese Rechtsansicht auf den ersten Blick hin erscheinen mag, wird
man sich doch bei näherer #berlegung zu ihr bekennen müssen, einmal aus
der Erwägung heraus, daß es dem Wesen der selbständigen Staatshoheit
widerspreche, wenn ein Staat sich vor den Gerichten eines anderen Staates
stellen müßte. Es liegt im Begriff der Rechtspflege, daß die Entscheidung
durch ein über den Parteien stehendes Organ zu erfolgen habe. Man sieht
die staatlichen Gerichte als über den Parteien stehend an, auch wenn die
Parteien verschiedenen Staaten angehören. Es können aber nicht die Ange-
stellten eines Staates über Ansprüche zu entscheiden haben, bei denen der
andere Staat als Partei auftritt, vielmehr kann in solchen Fällen, sofern
nicht nach dem Recht des als Schuldner beteiligten Staates innerhalb dessen
Gerichtsbarkeit geklagt werden kann, nur nach völkerrechtlichen Grundsätzen
ein Schiedsgericht zuständig erscheinen. Zweitens ist bei dieser Frage auch
zu berücksichtigen, welche Folgerungen sich für das Deutsche Reich ergeben
würden, wenn es Arteile gegen sich gelten lassen müßte, die vor ausländischen
Gerichten gegen seine Staatsgewalt ergangen wären:2).
Man wird sich also damit abfinden müssen, daß Rechtsansprüche der
Deutschen gegen feindliche Staaten im Inland nicht verfolgt werden können,
daß vielmehr den einzelnen Bürgern, die ja ein völkerrechtliches Schieds-
gericht nicht anrufen können, nach geltendem Recht nur die Möglichkeit zu-
steht, den feindlichen Staat vor seinen eigenen Gerichten zu verklagen. So
steht der deutsche Gläubiger eines feindlichen Staates aus den bereits er-
wähnten Gründen oft sehr ungünstig da; denn es ist im Ausland oft sehr
schwierig und immer kostspielig und langwierig, vor Gericht zu gehen. Daher
ist für die Kriegsschadenersatzansprüche gegen feindliche Staaten die wich-
tigste Frage die, ob nicht im Friedensvertrag besondere Sicherungsmaß-
nahmen für die deutschen Forderungen ausbedungen werden können. Man
1) DJ. 1915, 880.
2) ÜMber die Zulässigkeit des Rechtswegs gegen feindliche Staaten s. Riese,
Der Rechtsweg vor inländischen Gerichten gegen feindliche Staaten und der Krieg,
DJZ. 1915 67—71; Reichsgericht, Entsch. Bd. 62, 166; OLG. Dresden
vom 26. 4. 1915, DJ3Z. 1915, 930; O#G. Posen vom 235. 7. 1915, DJ3. 1915, 934;
Kaufmann, Kriegführende Staaten als Schuldner und Eläubiger feindlicher
Staatsangehöriger, 1915, S. 8—12 (hält die herrschende Ansicht nicht für richtig).